Unter dem Motto "Wie Phönix aus der Asche" trafen sich vom 3. bis 5. Juni 2010 Seniorchemiker und Jungchemiker in Bitterfeld-Wolfen.
Das dritte SEC Jahrestreffen 2010 konnte mit etwa 250Teilnehmern den Erfolg der vorherigen Tagungen in Hanau übertreffen. Dazu leisteten die lokalen Organisatoren, Egon Fanghänel, Horst Hennig und Rainer Moll, sowie das wissenschaftliche Komitee mit einem attraktiven Programm einen wesentlichen Beitrag. Tagungsort war das Städtische Kulturhaus Bitterfeld-Wolfen. Großer Dank für die Vorbereitung des Treffens gebührt allen Verantwortlichen, besonders auch aus dem Technologie- und Gründerzentrum (TGZ) vor Ort.
Der Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen war vor 25 Jahren ein Synonym für belastete Umwelt1). Eine Rundfahrt über das heute sanierte Gelände mit hochmodernen Produktionsanlagen und Industriedenkmälern zeigte den Besuchern den Erfolg gigantischer Sanierungsarbeiten seit 15 Jahren. Gleiches gilt für das besuchte Industriegelände Leuna. Beeindruckend auch das Deutsche Chemiemuseum Merseburg: Apparaturen für Chloralkali-Elektrolyse, Synthesekautschuk und Hochdrucktechnik erinnern hier an epochale Fortschritte der Chemie im 20. Jahrhundert.
Die Abendveranstaltung eröffnete der SEC-Vorsitzende Horst Altenburg. Grußworte sprachen die Oberbürgermeisterin von Bitterfeld- Wolfen, Petra Wust, der TGZ Geschäftsführer, Kurt Lausch, der Präsident der GDCh, Michael Dröscher, und der stellvertretende Bundessprecher des JCF, Arne Bernsdorf. Danach stellte Heiner Lück eine frühe Leistung der Region vor: den „Sachsenspiegel", ein von Eike von Repgow vor fast 800 Jahren in deutscher Sprache verfasstes Rechtsbuch mit weitreichender Wirkung in Europa bis in die jüngste Zeit.
Der erste Tagungstag stand unter dem Motto „Wandel des Chemiestandortes Bitterfeld-Wolfen." Wie Michael Polk beschrieb, entstand um 1890 dank billiger Braunkohle, Mulde-Wasser und günstiger Verkehrslage ein Zentrum der chemischen Forschung und Produktion. Ab dem Jahr 1945 wurden im Chemiekombinat Bitterfeld die unterschiedlichsten Produkte hergestellt, oft auf Kosten der Umwelt. Nach modellhafter Sanierung wurden 1200 Hektar der vorher hoch belasteten Region in den modernen ChemiePark Bitterfeld-Wolfen verwandelt. Christian H. Schleichers Vortrag schilderte den beispielhaften Aufbau von Bayer Bitterfeld mit dem Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen und den Chemiestandort zu erhalten. Jörg Gloede berichtete über die Entwicklung des Wachstumsregulators Ethephon. Damit gelang es, die Alternanz der Pflanzenblüte zu brechen, früheres Blühen und Reifen zu bewirken und den Ertrag an Getreide durch Halmverkürzung deutlich zu steigern.
Höchst aktuelle Themen der bioorganischen Chemie präsentierten Annette G. Beck-Sickinger und Gunter Fischer. Peptide sind erfolgreich in der Behandlung von Autoimmunkrankheiten dank Kopplung an Lipide oder Polyethylenglykol. Das Verständnis der Proteinfaltung lässt sich nutzen, um z.B. mit geeigneten Inhibitoren Krankheiten wie Hepatitis C, Asthma oder Schlaganfall zu behandeln. Wie Jörg Bagdahn beschrieb, sind im Photovoltaik-Cluster Hochschule und Industrie bei Forschung und Produktion effizient verbunden. SolarValley, gefördert von Bund und Ländern, zielt vor allem auf technologische Marktführerschaft, um sich gegen fernöstliche Konkurrenz zu behaupten. Ernst R. Barenschee berichtete über Lithiumionen-Batterien. Hier kommt es auf lange Lebensdauer, hohe Sicherheit und niedrige Kosten an, vor allem bei der Produktion in der Großserie. Rudolf Taube gab danach einen tiefen Einblick in die Leistungsfähigkeit moderner homogener Organometall-Katalysatoren für die regio- und enantioselektive Synthese.
Mit einem spannenden Vortrag über Mythos und Realität antiker Stähle ging dieser Tagungstag zu Ende. Werner Kochmann berichtete über seine langjährigen Untersuchungen, wonach die legendären sehr harten Stähle ungewöhnliche Kohlenstoffmodifikationen enthalten.
Der Samstag begann mit Hans-Jörg Hofmanns sehr engagiertem Vortrag über 130 Jahre wechselvoller Geschichte des „Alten Chemischen Instituts" in Leipzig. Namen wie Beckmann oder Ostwald und Entdeckungen wie die der Nernst- oder Arrhenius-Gleichung spiegeln die Bedeutung dieser historischen Stätte der Chemie wider. Adolf Zschunke zeigte dann, wie wichtig die Genauigkeit von Messungen, eine transparente Bestimmung der Messunsicherheiten und Standardisierung sind für Entscheidungen in Wirtschaft, Umweltschutz, Sport und Recht. Der Historiker Michael Schneider befasste sich mit der Rolle der chemischen Industrie während der Nazi-Herrschaft. Er beleuchtete die Frage, inwieweit Produktions- und Standortentscheidungen autonome Beschlüsse der Industrie oder politische Zwänge waren. Zuletzt lieferte Carsten Tschierske einen ästhetischen Einblick in die Supramolekulare Chemie flüssigkristalliner Phasen. Seine Gruppe entwickelt dafür Baukastensysteme, woraus sich viel über die Selbstorganisation kleiner Moleküle erfahren lässt.
Zwischen den Vorträgen hatten die Organisatoren reichlich Zeit für Diskussionen eingeplant. So gab es auch Gelegenheit, mit Studenten der nahen Universitäten die von ihnen vorgestellten Poster zu diskutieren – ein reizvolles Novum bei einem SEC Jahrestreffen, das am frühen Nachmittag GDCh-Altpräsident Henning Hopf beendete. Der Sage nach hat der Phönix einen Lebenszyklus von 500 bis 1000 Jahren. Vielleicht ein gutes Omen für den Industriestandort Bitterfeld-Wolfen und sogar für die zukünftigen SEC Jahrestreffen!
Wolfgang Gerhartz, Usrula Kraska, Ingeborg Lenze 1) M. Maron, Flugasche. S. Fischer, Frankfurt, 1981. | gefördert von |
Siehe auch
Nachr. Chem. 2010, 58, 186
Nachr. Chem. 2010, 58, 947
Bitterfelder Ztg. 5.6.2010
VDI IngPost Halle
Viele, aber nicht alle Vorträge sind als PDF verfügbar. Bei Interesse schicken Sie eine eMail an Wolfgang Gerhartz | |
Donnerstag, 3 Jun 2010 | |
| Prof. Dr. iur. Heiner Lück Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg |
Freitag, 4 Jun 2010 | |
| Dr. Michael Polk, Geschäftsführer P-D ChemiePark Bitterfeld-Wolfen GmbH |
| Prof. Dr. Jörg Gloede, ehemals Zentral-Institut für organische Chemie der AdW, Berlin |
| Dr. Christian Schleicher, Geschäftsführer Bayer Bitterfeld GmbH |
| Prof. Dr. Annette Gabriele Beck-Sickinger, Universität Leipzig, Institut für Biochemie |
| Prof. Dr. Gunter Fischer, Direktor Max-Planck-Institut für Biochemie der Pflanzen, Halle |
| Dr. Ernst R. Barenschee, Litarion GmbH, Kamenz |
| Prof. Dr. Jörg Bagdahn, Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik, Halle |
| Prof. Dr. Rudolf Taube, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle |
| Prof. Dr. Werner Kochmann, ehemals Chemie AG Bitterfeld-Wolfen |
Samstag, 5 Jun 2010 | |
| Prof. Dr. Hans-Jörg Hofmann, Universität Leipzig, Institut für Biochemie |
| Prof. Dr. Dr. h.c. Adolf Zschunke, ehemals Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin |
| Dr. Michael C. Schneider, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte |
| Prof. Dr. Carsten Tschierske, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg |
| Dipl.Ing. Kurt Lausch, TGZ Bitterfeld-Wolfen, Bitterfeld-Wolfen |
zuletzt geändert am: 18.08.2023 17:35 Uhr von W.Gerhartz