Philipp Gramlich und Karin Bodewits sind Gründer von Natural Science Careers – ein Unternehmen für Karriereberatung und Soft-Skill-Seminare für Naturwissenschaftler:innen. Für die Nachrichten aus der Chemie schreiben beide über Beobachtungen aus ihrer Beratungstätigkeit.
„Ein Pferd springt nur so hoch wie nötig“, sage ich und nicke John zu, einem der Teilnehmer meines Workshops zum Verfassen von Förderanträgen. Er wirkt nachdenklich. Gerade hat er mich gefragt, ob es sinnvoll sei, einen kleinen Reisezuschuss zu beantragen. Denn seine Professorin verfüge über ausreichend Drittmittel, um eine Last-Minute-Reise zum Mars zu finanzieren – sollte jemals die NASA anklopfen.
Die meisten Doktorand:innen in meinen Workshops haben noch nie einen Förderantrag gestellt. Sie scheinen zu denken, einen Förderantrag zu stellen, sei wie die Vorbereitung auf ein Ereignis, das so fern – und vielleicht auch unangenehm – ist wie der Weltuntergang.
Dabei ist das Verfassen solcher Anträge eine wertvolle Fähigkeit, die Ihrer Karriere zu Gute kommen kann. Ob Sie in der Wissenschaft bleiben, für eine Nichtregierungsorganisation arbeiten oder in die Privatwirtschaft einsteigen möchten: Diese Erfahrung bringt bedeutende Vorteile.
In der Wissenschaft geht es beim Antragstellen um mehr als nur die Finanzierung. Es geht darum, den Weg in die eigene Zukunft zu ebnen. Studien zufolge kommen Personen, die schon früh kleine Fördersummen erhalten, später leichter an größere. Diese ersten Erfolge signalisieren, dass Geldgeber Ihre Forschung anerkennen und dass Sie in der Lage sind, Projekte und Ressourcen zu verwalten. Darüber hinaus zeigen Sie, dass Sie überzeugend darlegen können, warum Ihre Arbeit wichtig ist.
Fähigkeiten, die Sie beim Schreiben von Förderanträgen erlernen, sind auch für nicht-akademische Karrieren von Vorteil – selbst wenn Sie nie wieder einen Zuschuss beantragen sollten. Sie zeigen, dass Sie klar ausdrücken können, wie Ihr Projekt mit der strategischen Mission einer Organisation übereinstimmt und diese voranbringt. So kann es beispielsweise sein, dass Sie dem höheren Management eine neue Idee vorstellen oder ein Projekt für einen gesellschaftlich relevanten Zweck entwickeln. Es geht also nicht nur darum, Fördermittel zu sichern – es geht darum, Ihre Denkweise zu ändern. Sie lernen herauszuarbeiten, wo sich Ihre Interessen mit denen der Gegenseite überschneiden. Dies sind begehrte Fähigkeiten, egal ob Sie in der Wissenschaft landen oder Ihren Laborkittel gegen Blazer oder Sakko tauschen. Es lohnt sich, ab und zu etwas höher zu springen, als Sie müssten. Schreiben Sie Ihre ersten Anträge also so früh wie möglich.
Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers
„Posterpräsentationen sind relevant”, beginne ich einen Workshop zum gleichnamigen Thema. Dieser Einstieg ist bewusst platt, um zum Denken anzuregen. Wäre etwas nicht wichtig, würde es kein Workshopthema sein. Beim Thema Poster ist das allerdings keine triviale Botschaft: Oft nehmen wir das Poster als Pflichtübung wahr. Um an Konferenzen teilnehmen zu dürfen, müssen wir meist einen Beitrag leisten – das Poster gilt als die niederschwellige Variante des prestigeträchtigen Vortrags.
Ich zeige eine Umfrage, die in den Nachrichten aus der Chemie erschien [Nachr. Chem. 2016, 64(11), 1097]. Darin verraten Chemiker:innen aus der Industrie, welche Fähigkeiten sie sich von Absolvent:innen wünschen. Posterdesign ist mit 46 Prozent auf Platz drei, Posterpräsentation mit 41 Prozent auf Platz fünf. Stolze Zahlen für diese schlichte Pflichtübung.
Ich schaue in die Runde: „Werden Sie als Industriechemikerin Poster präsentieren? Wohl eher nicht. Warum legt die Industrie dann solchen Wert darauf?” Nach einigem Überlegen meldet sich Olga zu Wort. „Wissenschaftlern wird nachgesagt, sie würden nicht auf den Punkt kommen. Und wenn wir versuchen, ein Full Paper auf ein Poster zu quetschen, dann verbringen wir die Postersession alleine.”
Sie hat recht: Ein gutes Poster informiert prägnant und in Kürze. Der Titel – er zeigt den Besucher:innen, ob das Poster interessant für sie ist – und ein grafischer Blickfang sind zentral für ein gutes Posterdesign. Dazu noch wenige klar erklärte Abbildungen sowie deutlich sichtbare Schlussfolgerungen und fertig ist das Werk.
Was für das Design gilt, sollte auch auf die Posterpräsentation angewendet werden. „Wie ist es für Sie, wenn Sie zu einem Poster gehen und gleich von einem langen Monolog zu einem winzigen Detail erschlagen werden?” Das Nicken in der Runde zeigt mir, dass das ein wiederkehrendes Phänomen ist. Eine gute Präsentation ist ein Dialog, der sich an den Interessen Ihrer Besucher:innen ausrichtet.
Genau das sind die Gründe, warum die Industrie daran interessiert ist, ob Sie Poster entwerfen und präsentieren können. In der Privatwirtschaft müssen Sie mit einer größeren Bandbreite an Kollegen und Partnerinnen kommunizieren als an der Hochschule. Im Idealfall haben Sie einen Posterpreis, der mit einer schlichten Zeile im Lebenslauf zeigt: Sie können zielgruppenspezifisch kommunizieren und verlieren sich nicht in Details.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
In einem Workshop zu Bewerbungen erzählt uns Hans von einem frustrierenden Erlebnis. „Ich habe mich auf eine ausgeschriebene Postdoc-Stelle beworben. Ich wurde nicht eingeladen. Als ich ein paar Monate später die Homepage der Forschungsgruppe besuchte, sah ich, dass niemand eingestellt worden war!”
Es passiert überraschend oft, dass eine Stelle ausgeschrieben wird, die gar nicht existiert – oder dass es jemanden gibt, der die Stelle auf jeden Fall bekommen wird.
„Woran können Sie erkennen, dass es einen Insider gibt, Sie also von vorneherein keine Chance haben und sich die Zeit sparen könnten?”, will ich von der Runde wissen.
Ich selbst habe eine solche Situation erlebt – von der anderen Seite. Meine eigene Postdoc-Stelle war ursprünglich auf 18 Monate angelegt. Als ich mich um eine sechsmonatige Verlängerung bemühte, mussten wir diese offiziell ausschreiben. Selbstverständlich bestand keinerlei Interesse, mich von meiner Position zu verdrängen.
„Wie, denken Sie, haben wir diese Stellenausschreibung formuliert, um uns und den Bewerbenden Zeit zu sparen?”, formuliere ich meine Frage um.
„Ich würde es so spezifisch formulieren, dass nur Sie selbst darauf passen”, antwortet Josh. Genau so lief es: In der Stellenanzeige fragten wir nach Erfahrungen im Fachgebiet meiner Promotion, die thematisch nichts mit dem Postdoc zu tun hatten, dazu noch nach fließendem Deutsch. Die Univerwaltung war zufrieden: Zielmarke von null Bewerbungen erreicht durch übertrieben spezifische Stellenbeschreibung.
„Wie soll ich damit umgehen, wenn ich gar keine Antwort von den Arbeitgebern erhalte?”, erkundigt sich Urzula. ‚Sich nicht aufregen‘ ist hier leicht gesagt. Wenn wir uns allerdings klarmachen, warum wir manchmal keine Antwort bekommen, dann verfliegt ein Teil unseres Ärgers von selbst. Klar kann Schlampigkeit oder gar Respektlosigkeit dazu führen, dass wir keine Antwort erhalten. Der häufigste Grund ist allerdings ein rechtlicher: Wenn der Arbeitgeber einen Grund nennt, warum er Sie ablehnt, birgt das immer ein Risiko. Denn Sie könnten versuchen, aus den Argumenten für die Ablehnung eine Form der Diskriminierung herauszulesen.
Der Bewerbungsprozess kann uns viel Geduld abverlangen. Wenn Sie die Beweggründe der Arbeitgeberseite verstehen, vermeiden Sie Frustrationen oder können sie zumindest so einordnen, dass es Sie nicht herunterzieht.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
In einem Beratungsgespräch erzählt mir Postdoktorand Daniel von seiner Chefin: „Als Wissenschaftlerin, Führungskraft und Mensch ist sie klasse. Doch scheint sie ein paar blinde Flecken zu haben, wenn es um kulturelle Unterschiede geht, das führt oft zu Frustrationen.” Als Beispiel führt er an, wie die Professorin vor versammelter Mannschaft eine chinesische Doktorandin eine halbe Stunde zu deren Projekt befragt hat. Vermutlich wollte die Chefin Interesse zeigen und gemeinsam Lösungen für die wissenschaftlichen Probleme finden. Der Ton war sachlich, doch das beharrliche Nachfragen vor der Gruppen empfand die Doktorandin als Gesichtsverlust: „Später stand sie zitternd an ihrem Arbeitsplatz, mit Tränen in den Augen.” Vergeblich bot Daniel ihr an, darüber zu sprechen. „Bin ich verpflichtet, meine Kollegin stärker zu unterstützen, muss ich vielleicht sogar mit unserer Chefin sprechen?”
Es ist sympathisch, wie sehr er nebst der Wissenschaft auf zwischenmenschlicher Ebene mitdenkt. Allerdings fühlen sich Menschen mit einem so vielschichtigen Bewusstsein oft von ihrem Pflichtgefühl erdrückt. Wie weit geht unsere Verantwortung als Chefin, Kollege oder Mitarbeiterin?
„Was stünde in Ihrer Stellenbeschreibung,“ will ich wissen, „wenn diese wirklich gewissenhaft formuliert wäre und nicht nur als bürokratische Pflichtübung ausgefüllt wurde?” Darin stünde, dass Sie sich Ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten gegenüber konstruktiv verhalten sollen. Als Coach oder Berater für Ihre Chefin aufzutreten stünde nicht darin. Diese Erkenntnis kann Ihnen diese schwierige Entscheidung erleichtern: Sie können, müssen Ihre Chefin aber nicht auf deren Schwachstellen hinweisen. Wenn Sie es tun, ist das redlich und lobenswert, und Sie können stolz auf sich sein. Sie sollten hingegen nachsichtig mit sich sein, wenn Sie Ihr Soll nicht immer übererfüllen: Sie sind vor allem Ihren Kernaufgaben und Ihrer mentalen Gesundheit verpflichtet.
Dieses Wissen können Sie nicht nur auf Fragen rund um Ihre Pflichten anwenden, sondern auch auf Ihre Rechte. Etwa wenn Sie überlegen, ob es in Ordnung ist, dass Sie sich für Ihre berufliche Weiterentwicklung und ein abwechslungsreiches Aufgabenspektrum einsetzen. Die Antwort wird Ihnen jetzt leicht fallen: Ja, natürlich ist das in Ordnung. Sie sind kein Roboter, sondern eine hoch qualifizierte Fachkraft, die sich durch lebenslanges Lernen fit halten sollte – eine klare Kernaufgabe Ihres Aufgabenprofils.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
Clara ist überglücklich: Eine Topkanzlei bietet ihr eine Stelle als Patentanwaltskandidatin an. Das Gehalt im Vertragsentwurf liegt jedoch unter dem marktüblichen Tarif – Clara ist verwundert. Dennoch schreibt sie zwei Tage später der Personalerin, dass sie die Stelle gerne annehmen würde. Wer weiß, ob sich so eine Chance noch einmal ergibt? Die Antwort der Personalerin haut Clara um: „Wir möchten Ihnen keine Stelle anbieten. Das zugesandte Dokument war nur ein Vertragsentwurf zur Ansicht, ohne Unterschrift von uns.” Auf Nachfrage, warum sie plötzlich nicht mehr erwünscht sei, bekommt Clara dann zu hören: „Wenn Sie für uns arbeiten, müssen Sie den Klienten mindestens 350 Euro Stundensatz berechnen. Das benötigt ein gewisses Business-Mindset. Wenn Sie nicht einmal für sich selbst ein marktkonformes Gehalt fordern, dann werden Sie das vermutlich auch nicht im Namen der Kanzlei tun.”
Bei etwas so Gewichtigem wie einem Arbeitsvertrag sollten Sie immer auf die korrekte Schriftform achten. Das war Claras handwerklicher Fehler. Zudem hat sie ein Prinzip missachtet, das für den gesamten Bewerbungsprozess gilt – jeder Schritt ist eine Arbeitsprobe. Für ein marktkonformes Gehalt einzutreten ist keine Gier, sondern zeigt Ihrem künftigen Arbeitgeber: Sie werden seine Interessen selbstbewusst vertreten.
Den Klassiker solcher versteckter Arbeitsproben kennen wir aus Filmen: Der schrullige Portier ist der erste Test, ob Ihre Umgangsformen höflich sind. Ich selbst wurde auf die Probe gestellt, als ich nach einer offenen Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Als ich wissen wollte, über was für eine Stelle wir eigentlich sprechen, hieß es, das würde erst gegen Ende des Gesprächs diskutiert – ein Test, wie ich mit dieser Unsicherheit umgehen würde. Solche Tests treten an vielen verschiedenen Momenten auf. Denn von allen Arten von Interviewfragen liefern Arbeitsproben der Arbeitgeberin die meiste Information.
Ruft der Arbeitgeber Sie ohne Vorankündigung an, um ein paar Eckpunkte Ihrer Bewerbung zu klären? Fragen Sie sich einfach, wie Sie in einer ähnlichen Situation in Ihrer neuen Stelle reagieren sollten. Das reduziert den Stress und macht klar, welche Taktik die richtige wäre. Eine gute Strategie: Entschuldigen Sie sich für Ihre Unpässlichkeit und vereinbaren einen Termin, an dem Sie ungestört sprechen können.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
„Chemiker promovieren! Wenn Ihnen das nicht gefällt, brechen Sie ab!“ Nach wie vor werden Erstsemester mit solchen Worten begrüßt. Ist das noch zeitgemäß? Sind Bachelor- und Masterabschluss 25 Jahre nach Unterzeichnen der Bologna-Reform in der Chemie noch immer nicht als berufsbefähigende Qualifizierungen etabliert?
Die Promotionsquote in Chemie lag in Deutschland im Jahr 2023 bei 85 Prozent. Wer den Berufseinstieg mit Bachelor- oder Masterabschluss sucht, schwimmt also nach wie vor gegen den Strom. Arbeitgeber setzen Bachelor-Absolvent:innen meist chemisch-technischen Assistenten gleich – trotz des stärkeren Theoriefundaments.
Die einzigen Stellen in der Privatwirtschaft, bei denen eine Promotion nahezu unabdingbar ist, sind verantwortungsvolle Positionen in der Forschung. Dennoch wird die Promotion in Chemie – im Gegensatz zu fast allen anderen Fachrichtungen – oft als gottgegebene Konstante hingenommen. Dabei sind sie mit Masterabschluss und vier Jahren Erfahrung in der Industrie für die meisten Stellen mindestens genauso gut qualifiziert wie ein promovierter Berufseinsteiger.
Wie bekommen Sie nun ohne Promotion einen Fuß in die Türe? Eine klassische Henne-Ei-Situation, könnte man meinen. Allerdings verschiebt sich derzeit der Arbeitsmarkt: Der landesweit schon länger beklagte Fachkräftemangel schlägt sich in der Chemie aufgrund hoher Studierendenzahlen erst jetzt nieder. Betriebe, die bereit sind, mit den Traditionen rund um die Promotion zu brechen, werden erwartbar stärker mit Doktormüttern um Masterabsolventen konkurrieren. Erstsemester dürften dann mehr und mehr zu hören bekommen: „Wir hoffen, dass Sie nach dem Studium noch für eine Promotion bei uns bleiben.”
Wenn Sie direkt nach dem Bachelor in den Beruf einsteigen wollen, dann lassen Sie Ihre Vorgesetzte wissen, dass Sie gerne Aufgaben jenseits des Laboralltags ausfüllen möchten und bereit sind, sich dafür fortzubilden.
Für den Berufseinstieg direkt nach dem Masterstudium sollten Sie sich bewusst sein, dass Arbeitgeber in Deutschland sich in Stellenanzeigen traditionell gern elitär darstellen. Nehmen Sie also nicht alles wörtlich. Wenn Sie herausarbeiten, warum Sie bereits jetzt die nötigen Qualifikationen mitbringen, zeigen Sie damit: Ich habe verstanden, welche Attribute und Eigenschaften im beruflichen Alltag zählen. Das ist eine schöne Arbeitsprobe Ihrer Fähigkeiten, Informationen zu recherchieren.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
Als ich noch im Labor aktiv war, fand ich eines Morgens einen Zettel über der Laborbank eines Kollegen: “If you touch my glassware, I will break your fingers. Sincerely, Czeslaw.”
Ich nutze dieses Beispiel gerne, um in das Thema „direkte und indirekte Kommunikation“ einzusteigen. Direkte Kommunikation ist verständlich, kann allerdings als harsch empfunden werden. Indirekte Kommunikation dagegen versteckt die eigentliche Aussage hinter Höflichkeiten und ist dadurch schwer verständlich.
In einem Workshop diskutierten wir einen besonders schwierigen Fall: Wie sagen Sie einem Kollegen, dass er einen deutlichen Körpergeruch hat? Sascha tastet sich an die Herausforderung heran. „Vielleicht ist es Dir noch nicht aufgefallen, aber in Deinem Büro riecht es ein bisschen. Vielleicht kommt das ja vom Lüftungssystem?” Renata fängt an zu lachen: „Will sagen, du stinkst wie die tote Ratte, die neulich im Lüftungsschacht gefunden wurde?”
Saschas Hintertürchen sollte dem Empfänger helfen, sein Gesicht zu wahren. Unbeabsichtigt hat er dadurch das Problem aber größer gemacht, als es ist – ein gutes Beispiel für die Komplexität indirekter Kommunikation.
Daniel meldet sich zu Wort. „Meine Professorin wollte neulich nur einen Tipp abgeben, aber das ging richtig schief: ‚Vielleicht ist die Verwendung von Deodorant in Ihrer Kultur unüblich.‘ Das empfanden viele wenig überraschend als rassistisch.“
„Wissen Sie, wie ich auf das Thema Körpergeruch gestoßen bin?”, frage ich in die Runde. „Die stinkende Person war ich. Ich musste zwei Wochen lang starke Medikamente nehmen, konnte aber noch arbeiten.” Ich erzähle, wie mich ein Kollege zur Seite nahm und mich mitfühlend fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei, da er zuvor noch nie meinen Körpergeruch wahrgenommen hatte. „Ich war mir des Problems bewusst, aber nicht dessen Ausmaßes. Ich war meinem Kollegen unendlich dankbar, dass er die unangenehme Aufgabe auf sich nahm, mir diesen gut gemeinten Hinweis zu geben.”
Bei der Wahl zwischen direkter und indirekter Kommunikation gibt es kein Richtig oder Falsch. Die Auffassung, dass direkte Kommunikation zwingend mit Unhöflichkeit einhergeht, stimmt nicht. Mein Kollege war direkt. Er wählte den richtigen Kontext, das vertrauliche Einzelgespräch. Er gab mir das Gefühl, dass es sein Ziel war, Schaden von mir abzuwenden, nicht, mich niederzumachen.
Die Intention zählt mehr als die Verpackung unserer Worte.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
In einem Beratungsgespräch offenbart mir Laura ihr Problem mit ihrem derzeitigen Arbeitgeber: „Meine Firma erhält derzeit viel negative Presse. Und an den Vorwürfen ist mindestens ein Körnchen Wahrheit dran.” Sie erzählt von abenteuerlichen Konstrukten in Steueroasen, Rohstoffen aus sensiblen Naturgebieten, Marketing voller Greenwashing.
Ihre Arbeitsbedingungen sind gut: Ihre Kolleg:innen bilden ein funktionierendes, herzliches Team; ihre Aufgaben sind angenehm herausfordernd. Ihre Vorgesetzte setzt sich aktiv für ihre Mitarbeiter:innen sowie deren Bedürfnisse und Entwicklung ein. Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen mit kontroversen Mitteln und Partnern, solange die gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen eingehalten werden. Das erzeugt bei den Arbeitnehmer:innen einen inneren Konflikt: Die Unternehmensentwicklung steht den eigenen Überzeugungen entgegen. Und Laura fragt sich: „Kann ich noch bei dieser Firma bleiben, oder werde ich daran zerbrechen?” Das lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Zu berücksichtigen ist: Gibt es darüber hinaus praktische Konsequenzen, wenn der Arbeitgeber sich entgegen der eigenen Moral verhält? Wird die Arbeit als inhaltsleer oder gar destruktiv empfunden, kann das schlimmstenfalls zum Burn-out führen – ganz ohne Überarbeitung.
Selbst wenn die eigenen Ideale denen des Arbeitgebers entsprechen, der Rest der Gesellschaft aber anders darüber denkt, sind Sie dauernd nagenden Rückfragen ausgesetzt. Es kann schön sein, sich für seine Überzeugungen einzusetzen, wird aber oft als ermüdend wahrgenommen.
Moralische Konflikte können es Arbeitgebern erschweren, geeignete Arbeitnehmer:innen zu finden. Dadurch könnten entweder notgedrungen die Gehälter steigen, oder der Arbeitgeber wird durch solch ein langfristiges Problem destabilisiert. Im akademischen Umfeld können Sie ähnliche Überlegungen anstellen. Knapp ein Fünftel der Drittmittel stammt aus der Industrie, die als Geldgeber Bedingungen stellen kann. Für die Forschenden ist wissenschaftliche Unabhängigkeit zentral. Darüber hinaus ist es einfacher, Promovierende und Postdocs anzuwerben, wenn die eigene Forschung als nutzbringend wahrgenommen wird.
Moralische Überlegungen sind stets zutiefst persönlich. Schieben Sie diese nicht zur Seite, sondern fragen Sie sich: Passen bei diesem Arbeitgeber nicht nur die Entwicklungsperspektive, sondern auch die moralischen Werte?
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
In einem Karriereworkshop erzählt Malaika von ihrem Umzug nach Deutschland. „Ich hatte echt Angst, in eine kleine Stadt wie Neuburg zu ziehen. Aber ich war positiv überrascht: Die Stadt ist sehr jung, eigentlich wie ein großer Uni-Campus. Die Bevölkerung ist sehr international, ich konnte mich schnell einleben.”
Manchmal ist die Demografie eines Orts hilfreich, um ein Gefühl zu bekommen, ob man hineinpassen könnte: Altersstruktur, durchschnittlicher Bildungsgrad, Herkunft der Bevölkerung und sogar das Wahlverhalten können Aufschluss geben.
„Können wir ähnliche Überlegungen für künftige Arbeitgeber anstellen?”, frage ich in die Runde. „Na, in die Betzler-Arbeitsgruppe würde ich nicht gehen”, sagt Tim. „Er hatte noch nie internationale Promovierende, die meisten kommen sogar aus unserer Stadt. Ich finde das etwas provinziell.” „Kann es ein Warnsignal sein, wenn die Gruppe sehr international ist?”, will ich wissen. Darauf antwortet Stefan: „Bei Professorin Schulke bewirbt sich kaum jemand, der hier studiert hat. Sie hat den Ruf einer extremen Schleiferin, was nur die Einheimischen wissen.”
In der Industrie spielt zudem eine Rolle, wie lange die Mitarbeitenden bleiben. Ist der Durchsatz hoch, weist das auf ein unangenehmes Arbeitsumfeld hin. Aufgrund der mangelnden Kontinuität baut sich zudem wenig Wissen auf. In so einem Betrieb lernen Sie weniger als bei Arbeitgebern, bei denen die Angestellten länger bleiben. Bleiben Mitarbeitende lange bei einem Arbeitgeber, sind drei Fälle zu unterscheiden:
Loyalität der Arbeitnehmenden, die sich der Arbeitgeber durch gute Führung und Arbeitskultur erarbeitet. Ist es dadurch ein starres Umfeld? – Nur, wenn Mitarbeitende ihre Stellen innerhalb der Organisation kaum wechseln.
Sackgasse. Einige wenige Stellen haben keinen logischen Anschlusspunkt zu anderen Bereichen, falls Sie sich umorientieren wollen oder müssen. Das ist in der Industrie nicht der Fall, doch gibt es Stellen in Ämtern oder als Lehrer:in, von denen Sie sich nur schwerlich wegbewegen können.
Goldener Käfig. Manche Stellen sind so gut bezahlt, dass ein Stellenwechsel fast immer deutlich weniger Gehalt bedeutet. Ist Ihr Leben erstmal auf höhere laufende Kosten eingerichtet, kann die Umstellung schmerzhaft sein. Stellen im Patentwesen und im Management von Unternehmen fallen in diese Kategorie.
Sowohl Internationalität als auch Dauer der Firmenzugehörigkeit erlauben für sich genommen noch kein Urteil. Stellen Sie darin allerdings einen Ausschlag in die Extreme fest, beachten Sie dies als Warnsignal. Diese Anhaltspunkte gewinnen Sie recht einfach durch einen Blick auf Profile in professionellen sozialen Medien wie Linkedin.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
Karl steht am Ende seiner Promotion – und hat sich auf eine Stelle beworben, die für Master-Absolvent:innen ohne Berufserfahrung ausgeschrieben ist. „Warum finden Sie, dass das eine passende Stelle für Sie ist?”, will ich wissen. „Bei so einem Top-Arbeitgeber dachte ich, dass ich bei einer Stelle für niedriger qualifizierte Bewerbende mehr Chancen habe.”
Etwa die Hälfte der Teilnehmenden unseres Workshops meint, Karl könnte mit seiner Taktik Erfolg haben. Dennoch gibt es Einwände: „Müssen sie Dir dann nicht trotzdem das Promovierten-Gehalt zahlen?”, fragt Maurice. „Und wärst Du überhaupt ein attraktiver Kandidat?”, erkundigt sich Julia.
Überqualifiziert zu sein senkt Karls Attraktivität für den Arbeitgeber, statt sie zu steigern. Die Frage wird aufkommen: Wird Karl sich nach einigen Monaten langweilen und das Unternehmen verlassen? Dann wäre womöglich der gesamte Einstellungs- und Einlernprozess hinfällig. Der Arbeitgeber wird sich sicherlich auch Gedanken machen, ob der Kandidat ein ängstlicher Charakter ist.
Der Fachkräftemangel ist inzwischen in der Chemieindustrie angekommen. Für die meisten Bewerbenden gibt es also keinen Grund, sich unter Wert zu verkaufen. Nur in wenigen Ausnahmen kann eine Bewerbung auf niedrigeres Niveau sinnvoll sein: bei einem Karrierebruch, Zuzug aus dem Ausland oder wenn – abgesehen vom Qualifikationsniveau – die Stelle außergewöhnlich gut zu Ihnen passt.
Bewerbungen als Überqualifizierte:r sind sehr schwer zu schreiben. Wie nehmen Sie dem Arbeitgeber die Angst, dass Sie schnell wieder abhauen, werden aber gleichzeitig als angemessen ambitioniert wahrgenommen? Zeigen Sie, was Sie an der Stelle reizt, was Sie trotz der Überqualifikation alles lernen können. Wie passt das zu Ihren bisherigen beruflichen Entscheidungen? Können Sie damit das Bild eines Mitarbeiters zeichnen, für den es in Ordnung ist, statt Entscheidungen zu treffen und Initiative zu ergreifen, einfachere Tätigkeiten auszuführen und dennoch – oder gerade deswegen – dem Team wertvolle Dienste zu leisten? Skizzieren Sie eine Wachstumsperspektive für Ihre berufliche Zukunft, die zu Ihrer Vergangenheit passt und dem Arbeitgeber zeigt, dass Sie die Stelle zumindest für einige Zeit mit Freude ausfüllen werden.
Übrigens: Ob der Arbeitgeber Sie gemäß Ihrer Qualifikation bezahlen muss, hängt davon ab, ob er dem Tarifvertrag unterliegt. Das ist also in der Regel nur bei den größeren Firmen der Fall, bei den kleineren ist es Verhandlungssache.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
In einem Beratungsgespräch mit einer Doktorandin in der Bewerbungsphase besprechen wir Fragen, die im Vorstellungsgespräch kommen könnten: „Bei Ihrem Profil kann ich mir gut vorstellen, dass Sie gefragt werden, ob Sie sich vorstellen können, in einem anderen Bereich zu arbeiten.” Gewohnt schnörkellos antwortet sie: „Ich möchte an der Simulation von Katalysatoren arbeiten, idealerweise im Grenzbereich zwischen Hochschule und einer kleinen Firma.” Ich lasse eine Pause, und wir müssen beide lachen. „Ok, damit bekomme ich wohl Extrapunkte für ‚nicht flexibel‘”, resümiert sie schmunzelnd.
Mit Fragen wie dieser wollen Arbeitgeber sehen, dass Ihre Vorstellung von der eigenen beruflichen Zukunft nicht zu festgefahren ist – gleichzeitig aber auch, dass Sie wissen, was Sie wollen. Wenn Sie angeben, dass Sie für wirklich alles zu haben sind, nur um bei diesem Arbeitgeber einen Fuß in die Tür zu bekommen, dann nimmt er Sie als verzweifelt wahr.
Meine Gesprächspartnerin konzentriert sich und macht einen zweiten Versuch. „Am Anfang meiner Doktorarbeit habe ich im Labor gearbeitet, was mir Spaß gemacht hat. Ich finde es sehr wichtig, Kontakt mit den experimentell arbeitenden Kolleg:innen zu halten. Wir simulieren schließlich ihre Experimente.“ Neulich habe sie mal wieder im Labor vorbeigeschaut, um mit einem Kollegen zu sprechen, erzählt sie. „Er zeigte mir eine Übergangsmetalllegierung, die golden glänzte. Ich hatte eine silbrige Farbe erwartet und erfuhr im Gespräch, dass sich die Farbe durch relativistische Effekte erklären lässt.“ Eine entscheidende Info für sie: „Das war wichtig für meine Simulationen – werden diese Effekte weggelassen, dann stimmen meine Modelle nicht mehr. Ich könnte mir durchaus vorstellen, in Zukunft wieder näher ans Labor zu rücken.”
Ich bin baff. Diese Antwort ist in vielerlei Hinsicht besser als die erste: Die Doktorandin erklärt ihr Interesse an der Simulation und gibt im gleichen Atemzug an, in welche Richtungen sich ihr Interesse plausiblerweise in Zukunft entwickeln könnte. Das tut sie anhand eines realen und gut nachvollziehbaren Beispiels, das sie als interessierte und selbstkritische Wissenschaftlerin darstellt.
Wenn Sie etwas erklären möchten, dann ist es für die Zuhörenden verständlicher, wenn Sie mit einem konkreten Beispiel einsteigen. Darauf basierend können Sie dann die allgemeinen Schlussfolgerungen ableiten.
Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
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zuletzt geändert am: 17.12.2024 11:58 Uhr von A.Miller