Karrierekolumne

Karrierekolumne aus den "Nachrichten aus der Chemie"

Philipp Gramlich und Karin Bodewits sind Gründer von Natural Science Careers – ein Unternehmen für Karriereberatung und Soft-Skill-Seminare für Naturwissenschaftler:innen. Für die Nachrichten aus der Chemie schreiben beide über Beobachtungen aus ihrer Beratungstätigkeit.

 

NCh 09/24 Die hypothetische Stellenbeschreibung

In einem Beratungsgespräch erzählt mir Postdoktorand Daniel von seiner Chefin: „Als Wissenschaftlerin, Führungskraft und Mensch ist sie klasse. Doch scheint sie ein paar blinde Flecken zu haben, wenn es um kulturelle Unterschiede geht, das führt oft zu Frustrationen.” Als Beispiel führt er an, wie die Professorin vor versammelter Mannschaft eine chinesische Doktorandin eine halbe Stunde zu deren Projekt befragt hat. Vermutlich wollte die Chefin Interesse zeigen und gemeinsam Lösungen für die wissenschaftlichen Probleme finden. Der Ton war sachlich, doch das beharrliche Nachfragen vor der Gruppen empfand die Doktorandin als Gesichtsverlust: „Später stand sie zitternd an ihrem Arbeitsplatz, mit Tränen in den Augen.” Vergeblich bot Daniel ihr an, darüber zu sprechen. „Bin ich verpflichtet, meine Kollegin stärker zu unterstützen, muss ich vielleicht sogar mit unserer Chefin sprechen?”

Es ist sympathisch, wie sehr er nebst der Wissenschaft auf zwischenmenschlicher Ebene mitdenkt. Allerdings fühlen sich Menschen mit einem so vielschichtigen Bewusstsein oft von ihrem Pflichtgefühl erdrückt. Wie weit geht unsere Verantwortung als Chefin, Kollege oder Mitarbeiterin?

„Was stünde in Ihrer Stellenbeschreibung,“ will ich wissen, „wenn diese wirklich gewissenhaft formuliert wäre und nicht nur als bürokratische Pflichtübung ausgefüllt wurde?” Darin stünde, dass Sie sich Ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten gegenüber konstruktiv verhalten sollen. Als Coach oder Berater für Ihre Chefin aufzutreten stünde nicht darin. Diese Erkenntnis kann Ihnen diese schwierige Entscheidung erleichtern: Sie können, müssen Ihre Chefin aber nicht auf deren Schwachstellen hinweisen. Wenn Sie es tun, ist das redlich und lobenswert, und Sie können stolz auf sich sein. Sie sollten hingegen nachsichtig mit sich sein, wenn Sie Ihr Soll nicht immer übererfüllen: Sie sind vor allem Ihren Kernaufgaben und Ihrer mentalen Gesundheit verpflichtet.

Dieses Wissen können Sie nicht nur auf Fragen rund um Ihre Pflichten anwenden, sondern auch auf Ihre Rechte. Etwa wenn Sie überlegen, ob es in Ordnung ist, dass Sie sich für Ihre berufliche Weiterentwicklung und ein abwechslungsreiches Aufgabenspektrum einsetzen. Die Antwort wird Ihnen jetzt leicht fallen: Ja, natürlich ist das in Ordnung. Sie sind kein Roboter, sondern eine hoch qualifizierte Fachkraft, die sich durch lebenslanges Lernen fit halten sollte – eine klare Kernaufgabe Ihres Aufgabenprofils.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 07-08/24 Alles eine Arbeitsprobe

Clara ist überglücklich: Eine Topkanzlei bietet ihr eine Stelle als Patentanwaltskandidatin an. Das Gehalt im Vertragsentwurf liegt jedoch unter dem marktüblichen Tarif – Clara ist verwundert. Dennoch schreibt sie zwei Tage später der Personalerin, dass sie die Stelle gerne annehmen würde. Wer weiß, ob sich so eine Chance noch einmal ergibt? Die Antwort der Personalerin haut Clara um: „Wir möchten Ihnen keine Stelle anbieten. Das zugesandte Dokument war nur ein Vertragsentwurf zur Ansicht, ohne Unterschrift von uns.” Auf Nachfrage, warum sie plötzlich nicht mehr erwünscht sei, bekommt Clara dann zu hören: „Wenn Sie für uns arbeiten, müssen Sie den Klienten mindestens 350 Euro Stundensatz berechnen. Das benötigt ein gewisses Business-Mindset. Wenn Sie nicht einmal für sich selbst ein marktkonformes Gehalt fordern, dann werden Sie das vermutlich auch nicht im Namen der Kanzlei tun.”

Bei etwas so Gewichtigem wie einem Arbeitsvertrag sollten Sie immer auf die korrekte Schriftform achten. Das war Claras handwerklicher Fehler. Zudem hat sie ein Prinzip missachtet, das für den gesamten Bewerbungsprozess gilt – jeder Schritt ist eine Arbeitsprobe. Für ein marktkonformes Gehalt einzutreten ist keine Gier, sondern zeigt Ihrem künftigen Arbeitgeber: Sie werden seine Interessen selbstbewusst vertreten.

Den Klassiker solcher versteckter Arbeitsproben kennen wir aus Filmen: Der schrullige Portier ist der erste Test, ob Ihre Umgangsformen höflich sind. Ich selbst wurde auf die Probe gestellt, als ich nach einer offenen Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Als ich wissen wollte, über was für eine Stelle wir eigentlich sprechen, hieß es, das würde erst gegen Ende des Gesprächs diskutiert – ein Test, wie ich mit dieser Unsicherheit umgehen würde. Solche Tests treten an vielen verschiedenen Momenten auf. Denn von allen Arten von Interviewfragen liefern Arbeitsproben der Arbeitgeberin die meiste Information. 

Ruft der Arbeitgeber Sie ohne Vorankündigung an, um ein paar Eckpunkte Ihrer Bewerbung zu klären? Fragen Sie sich einfach, wie Sie in einer ähnlichen Situation in Ihrer neuen Stelle reagieren sollten. Das reduziert den Stress und macht klar, welche Taktik die richtige wäre. Eine gute Strategie: Entschuldigen Sie sich für Ihre Unpässlichkeit und vereinbaren einen Termin, an dem Sie ungestört sprechen können.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
 

NCh 06/24 Chemiker promovieren

„Chemiker promovieren! Wenn Ihnen das nicht gefällt, brechen Sie ab!“ Nach wie vor werden Erstsemester mit solchen Worten begrüßt. Ist das noch zeitgemäß? Sind Bachelor- und Masterabschluss 25 Jahre nach Unterzeichnen der Bologna-Reform in der Chemie noch immer nicht als berufsbefähigende Qualifizierungen etabliert?

Die Promotionsquote in Chemie lag in Deutschland im Jahr 2023 bei 85 Prozent. Wer den Berufseinstieg mit Bachelor- oder Masterabschluss sucht, schwimmt also nach wie vor gegen den Strom. Arbeitgeber setzen Bachelor-Absolvent:innen meist chemisch-technischen Assistenten gleich – trotz des stärkeren Theoriefundaments.

Die einzigen Stellen in der Privatwirtschaft, bei denen eine Promotion nahezu unabdingbar ist, sind verantwortungsvolle Positionen in der Forschung. Dennoch wird die Promotion in Chemie – im Gegensatz zu fast allen anderen Fachrichtungen – oft als gottgegebene Konstante hingenommen. Dabei sind sie mit Masterabschluss und vier Jahren Erfahrung in der Industrie für die meisten Stellen mindestens genauso gut qualifiziert wie ein promovierter Berufseinsteiger.

Wie bekommen Sie nun ohne Promotion einen Fuß in die Türe? Eine klassische Henne-Ei-Situation, könnte man meinen. Allerdings verschiebt sich derzeit der Arbeitsmarkt: Der landesweit schon länger beklagte Fachkräftemangel schlägt sich in der Chemie aufgrund hoher Studierendenzahlen erst jetzt nieder. Betriebe, die bereit sind, mit den Traditionen rund um die Promotion zu brechen, werden erwartbar stärker mit Doktormüttern um Masterabsolventen konkurrieren. Erstsemester dürften dann mehr und mehr zu hören bekommen: „Wir hoffen, dass Sie nach dem Studium noch für eine Promotion bei uns bleiben.”

Wenn Sie direkt nach dem Bachelor in den Beruf einsteigen wollen, dann lassen Sie Ihre Vorgesetzte wissen, dass Sie gerne Aufgaben jenseits des Laboralltags ausfüllen möchten und bereit sind, sich dafür fortzubilden.

Für den Berufseinstieg direkt nach dem Masterstudium sollten Sie sich bewusst sein, dass Arbeitgeber in Deutschland sich in Stellenanzeigen traditionell gern elitär darstellen. Nehmen Sie also nicht alles wörtlich. Wenn Sie herausarbeiten, warum Sie bereits jetzt die nötigen Qualifikationen mitbringen, zeigen Sie damit: Ich habe verstanden, welche Attribute und Eigenschaften im beruflichen Alltag zählen. Das ist eine schöne Arbeitsprobe Ihrer Fähigkeiten, Informationen zu recherchieren.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 05/24 Sie riechen streng

Als ich noch im Labor aktiv war, fand ich eines Morgens einen Zettel über der Laborbank eines Kollegen: “If you touch my glassware, I will break your fingers. Sincerely, Czeslaw.”

Ich nutze dieses Beispiel gerne, um in das Thema „direkte und indirekte Kommunikation“ einzusteigen. Direkte Kommunikation ist verständlich, kann allerdings als harsch empfunden werden. Indirekte Kommunikation dagegen versteckt die eigentliche Aussage hinter Höflichkeiten und ist dadurch schwer verständlich.

In einem Workshop diskutierten wir einen besonders schwierigen Fall: Wie sagen Sie einem Kollegen, dass er einen deutlichen Körpergeruch hat? Sascha tastet sich an die Herausforderung heran. „Vielleicht ist es Dir noch nicht aufgefallen, aber in Deinem Büro riecht es ein bisschen. Vielleicht kommt das ja vom Lüftungssystem?” Renata fängt an zu lachen: „Will sagen, du stinkst wie die tote Ratte, die neulich im Lüftungsschacht gefunden wurde?”

Saschas Hintertürchen sollte dem Empfänger helfen, sein Gesicht zu wahren. Unbeabsichtigt hat er dadurch das Problem aber größer gemacht, als es ist – ein gutes Beispiel für die Komplexität indirekter Kommunikation.

Daniel meldet sich zu Wort. „Meine Professorin wollte neulich nur einen Tipp abgeben, aber das ging richtig schief: ‚Vielleicht ist die Verwendung von Deodorant in Ihrer Kultur unüblich.‘ Das empfanden viele wenig überraschend als rassistisch.“

„Wissen Sie, wie ich auf das Thema Körpergeruch gestoßen bin?”, frage ich in die Runde. „Die stinkende Person war ich. Ich musste zwei Wochen lang starke Medikamente nehmen, konnte aber noch arbeiten.” Ich erzähle, wie mich ein Kollege zur Seite nahm und mich mitfühlend fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei, da er zuvor noch nie meinen Körpergeruch wahrgenommen hatte. „Ich war mir des Problems bewusst, aber nicht dessen Ausmaßes. Ich war meinem Kollegen unendlich dankbar, dass er die unangenehme Aufgabe auf sich nahm, mir diesen gut gemeinten Hinweis zu geben.”

Bei der Wahl zwischen direkter und indirekter Kommunikation gibt es kein Richtig oder Falsch. Die Auffassung, dass direkte Kommunikation zwingend mit Unhöflichkeit einhergeht, stimmt nicht. Mein Kollege war direkt. Er wählte den richtigen Kontext, das vertrauliche Einzelgespräch. Er gab mir das Gefühl, dass es sein Ziel war, Schaden von mir abzuwenden, nicht, mich niederzumachen.

Die Intention zählt mehr als die Verpackung unserer Worte.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 04/24 Die Ideale der Arbeitgeber

In einem Beratungsgespräch offenbart mir Laura ihr Problem mit ihrem derzeitigen Arbeitgeber: „Meine Firma erhält derzeit viel negative Presse. Und an den Vorwürfen ist mindestens ein Körnchen Wahrheit dran.” Sie erzählt von abenteuerlichen Konstrukten in Steueroasen, Rohstoffen aus sensiblen Naturgebieten, Marketing voller Greenwashing. 

Ihre Arbeitsbedingungen sind gut: Ihre Kolleg:innen bilden ein funktionierendes, herzliches Team; ihre Aufgaben sind angenehm herausfordernd. Ihre Vorgesetzte setzt sich aktiv für ihre Mitarbeiter:innen sowie deren Bedürfnisse und Entwicklung ein. Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen mit kontroversen Mitteln und Partnern, solange die gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen eingehalten werden. Das erzeugt bei den Arbeitnehmer:innen einen inneren Konflikt: Die Unternehmensentwicklung steht den eigenen Überzeugungen entgegen. Und Laura fragt sich: „Kann ich noch bei dieser Firma bleiben, oder werde ich daran zerbrechen?” Das lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Zu berücksichtigen ist: Gibt es darüber hinaus praktische Konsequenzen, wenn der Arbeitgeber sich entgegen der eigenen Moral verhält? Wird die Arbeit als inhaltsleer oder gar destruktiv empfunden, kann das schlimmstenfalls zum Burn-out führen – ganz ohne Überarbeitung. 

Selbst wenn die eigenen Ideale denen des Arbeitgebers entsprechen, der Rest der Gesellschaft aber anders darüber denkt, sind Sie dauernd nagenden Rückfragen ausgesetzt. Es kann schön sein, sich für seine Überzeugungen einzusetzen, wird aber oft als ermüdend wahrgenommen. 

Moralische Konflikte können es Arbeitgebern erschweren, geeignete Arbeitnehmer:innen zu finden. Dadurch könnten entweder notgedrungen die Gehälter steigen, oder der Arbeitgeber wird durch solch ein langfristiges Problem destabilisiert. Im akademischen Umfeld können Sie ähnliche Überlegungen anstellen. Knapp ein Fünftel der Drittmittel stammt aus der Industrie, die als Geldgeber Bedingungen stellen kann. Für die Forschenden ist wissenschaftliche Unabhängigkeit zentral. Darüber hinaus ist es einfacher, Promovierende und Postdocs anzuwerben, wenn die eigene Forschung als nutzbringend wahrgenommen wird. 

Moralische Überlegungen sind stets zutiefst persönlich. Schieben Sie diese nicht zur Seite, sondern fragen Sie sich: Passen bei diesem Arbeitgeber nicht nur die Entwicklungsperspektive, sondern auch die moralischen Werte?

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 03/24 Demografie

In einem Karriereworkshop erzählt Malaika von ihrem Umzug nach Deutschland. „Ich hatte echt Angst, in eine kleine Stadt wie Neuburg zu ziehen. Aber ich war positiv überrascht: Die Stadt ist sehr jung, eigentlich wie ein großer Uni-Campus. Die Bevölkerung ist sehr international, ich konnte mich schnell einleben.” 

Manchmal ist die Demografie eines Orts hilfreich, um ein Gefühl zu bekommen, ob man hineinpassen könnte: Altersstruktur, durchschnittlicher Bildungsgrad, Herkunft der Bevölkerung und sogar das Wahlverhalten können Aufschluss geben. 

„Können wir ähnliche Überlegungen für künftige Arbeitgeber anstellen?”, frage ich in die Runde. „Na, in die Betzler-Arbeitsgruppe würde ich nicht gehen”, sagt Tim. „Er hatte noch nie internationale Promovierende, die meisten kommen sogar aus unserer Stadt. Ich finde das etwas provinziell.” „Kann es ein Warnsignal sein, wenn die Gruppe sehr international ist?”, will ich wissen. Darauf antwortet Stefan: „Bei Professorin Schulke bewirbt sich kaum jemand, der hier studiert hat. Sie hat den Ruf einer extremen Schleiferin, was nur die Einheimischen wissen.”

In der Industrie spielt zudem eine Rolle, wie lange die Mitarbeitenden bleiben. Ist der Durchsatz hoch, weist das auf ein unangenehmes Arbeitsumfeld hin. Aufgrund der mangelnden Kontinuität baut sich zudem wenig Wissen auf. In so einem Betrieb lernen Sie weniger als bei Arbeitgebern, bei denen die Angestellten länger bleiben. Bleiben Mitarbeitende lange bei einem Arbeitgeber, sind drei Fälle zu unterscheiden: 

Loyalität der Arbeitnehmenden, die sich der Arbeitgeber durch gute Führung und Arbeitskultur erarbeitet. Ist es dadurch ein starres Umfeld? – Nur, wenn Mitarbeitende ihre Stellen innerhalb der Organisation kaum wechseln. 

Sackgasse. Einige wenige Stellen haben keinen logischen Anschlusspunkt zu anderen Bereichen, falls Sie sich umorientieren wollen oder müssen. Das ist in der Industrie nicht der Fall, doch gibt es Stellen in Ämtern oder als Lehrer:in, von denen Sie sich nur schwerlich wegbewegen können. 

Goldener Käfig. Manche Stellen sind so gut bezahlt, dass ein Stellenwechsel fast immer deutlich weniger Gehalt bedeutet. Ist Ihr Leben erstmal auf höhere laufende Kosten eingerichtet, kann die Umstellung schmerzhaft sein. Stellen im Patentwesen und im Management von Unternehmen fallen in diese Kategorie. 

Sowohl Internationalität als auch Dauer der Firmenzugehörigkeit erlauben für sich genommen noch kein Urteil. Stellen Sie darin allerdings einen Ausschlag in die Extreme fest, beachten Sie dies als Warnsignal. Diese Anhaltspunkte gewinnen Sie recht einfach durch einen Blick auf Profile in professionellen sozialen Medien wie Linkedin.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
 

Heft 02/24 Überqualifiziert

Karl steht am Ende seiner Promotion – und hat sich auf eine Stelle beworben, die für Master-Absolvent:innen ohne Berufserfahrung ausgeschrieben ist. „Warum finden Sie, dass das eine passende Stelle für Sie ist?”, will ich wissen. „Bei so einem Top-Arbeitgeber dachte ich, dass ich bei einer Stelle für niedriger qualifizierte Bewerbende mehr Chancen habe.” 

Etwa die Hälfte der Teilnehmenden unseres Workshops meint, Karl könnte mit seiner Taktik Erfolg haben. Dennoch gibt es Einwände: „Müssen sie Dir dann nicht trotzdem das Promovierten-Gehalt zahlen?”, fragt Maurice. „Und wärst Du überhaupt ein attraktiver Kandidat?”, erkundigt sich Julia.

Überqualifiziert zu sein senkt Karls Attraktivität für den Arbeitgeber, statt sie zu steigern. Die Frage wird aufkommen: Wird Karl sich nach einigen Monaten langweilen und das Unternehmen verlassen? Dann wäre womöglich der gesamte Einstellungs- und Einlernprozess hinfällig. Der Arbeitgeber wird sich sicherlich auch Gedanken machen, ob der Kandidat ein ängstlicher Charakter ist.

Der Fachkräftemangel ist inzwischen in der Chemieindustrie angekommen. Für die meisten Bewerbenden gibt es also keinen Grund, sich unter Wert zu verkaufen. Nur in wenigen Ausnahmen kann eine Bewerbung auf niedrigeres Niveau sinnvoll sein: bei einem Karrierebruch, Zuzug aus dem Ausland oder wenn – abgesehen vom Qualifikationsniveau – die Stelle außergewöhnlich gut zu Ihnen passt.

Bewerbungen als Überqualifizierte:r sind sehr schwer zu schreiben. Wie nehmen Sie dem Arbeitgeber die Angst, dass Sie schnell wieder abhauen, werden aber gleichzeitig als angemessen ambitioniert wahrgenommen? Zeigen Sie, was Sie an der Stelle reizt, was Sie trotz der Überqualifikation alles lernen können. Wie passt das zu Ihren bisherigen beruflichen Entscheidungen? Können Sie damit das Bild eines Mitarbeiters zeichnen, für den es in Ordnung ist, statt Entscheidungen zu treffen und Initiative zu ergreifen, einfachere Tätigkeiten auszuführen und dennoch – oder gerade deswegen – dem Team wertvolle Dienste zu leisten? Skizzieren Sie eine Wachstumsperspektive für Ihre berufliche Zukunft, die zu Ihrer Vergangenheit passt und dem Arbeitgeber zeigt, dass Sie die Stelle zumindest für einige Zeit mit Freude ausfüllen werden.

Übrigens: Ob der Arbeitgeber Sie gemäß Ihrer Qualifikation bezahlen muss, hängt davon ab, ob er dem Tarifvertrag unterliegt. Das ist also in der Regel nur bei den größeren Firmen der Fall, bei den kleineren ist es Verhandlungssache.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 01/24 Von klein nach groß

In einem Beratungsgespräch mit einer Doktorandin in der Bewerbungsphase besprechen wir Fragen, die im Vorstellungsgespräch kommen könnten: „Bei Ihrem Profil kann ich mir gut vorstellen, dass Sie gefragt werden, ob Sie sich vorstellen können, in einem anderen Bereich zu arbeiten.” Gewohnt schnörkellos antwortet sie: „Ich möchte an der Simulation von Katalysatoren arbeiten, idealerweise im Grenzbereich zwischen Hochschule und einer kleinen Firma.” Ich lasse eine Pause, und wir müssen beide lachen. „Ok, damit bekomme ich wohl Extrapunkte für ‚nicht flexibel‘”, resümiert sie schmunzelnd.

Mit Fragen wie dieser wollen Arbeitgeber sehen, dass Ihre Vorstellung von der eigenen beruflichen Zukunft nicht zu festgefahren ist – gleichzeitig aber auch, dass Sie wissen, was Sie wollen. Wenn Sie angeben, dass Sie für wirklich alles zu haben sind, nur um bei diesem Arbeitgeber einen Fuß in die Tür zu bekommen, dann nimmt er Sie als verzweifelt wahr.

Meine Gesprächspartnerin konzentriert sich und macht einen zweiten Versuch. „Am Anfang meiner Doktorarbeit habe ich im Labor gearbeitet, was mir Spaß gemacht hat. Ich finde es sehr wichtig, Kontakt mit den experimentell arbeitenden Kolleg:innen zu halten. Wir simulieren schließlich ihre Experimente.“ Neulich habe sie mal wieder im Labor vorbeigeschaut, um mit einem Kollegen zu sprechen, erzählt sie. „Er zeigte mir eine Übergangsmetalllegierung, die golden glänzte. Ich hatte eine silbrige Farbe erwartet und erfuhr im Gespräch, dass sich die Farbe durch relativistische Effekte erklären lässt.“ Eine entscheidende Info für sie: „Das war wichtig für meine Simulationen – werden diese Effekte weggelassen, dann stimmen meine Modelle nicht mehr. Ich könnte mir durchaus vorstellen, in Zukunft wieder näher ans Labor zu rücken.”

Ich bin baff. Diese Antwort ist in vielerlei Hinsicht besser als die erste: Die Doktorandin erklärt ihr Interesse an der Simulation und gibt im gleichen Atemzug an, in welche Richtungen sich ihr Interesse plausiblerweise in Zukunft entwickeln könnte. Das tut sie anhand eines realen und gut nachvollziehbaren Beispiels, das sie als interessierte und selbstkritische Wissenschaftlerin darstellt.

Wenn Sie etwas erklären möchten, dann ist es für die Zuhörenden verständlicher, wenn Sie mit einem konkreten Beispiel einsteigen. Darauf basierend können Sie dann die allgemeinen Schlussfolgerungen ableiten.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 12/23 Wo soll es hingehen?

„Wie lange kann ich die Entscheidung zwischen Industrie und Hochschulkarriere aufschieben?”, fragt die Doktorandin Iryna in einem Karriereworkshop. Erfrischend direkt drückt sie damit aus, was nicht wenige andere im Raum ebenfalls denken. „Ich finde akademische Forschung klasse, bin aber auch sehr neugierig darauf, wie es in der Industrie läuft.”

Es gibt einige Positionen, bei denen Sie gleichzeitig einen Fuß in beiden Welten haben. Sie können beispielsweise eine Promotion oder einen Postdoc in der Industrie machen. Dabei sollten Sie vorab klären, ob Sie publizieren dürfen, was nicht immer der Fall ist. Auf höheren Karrierestufen gibt es die echten Stars, die mehrere Hüte gleichzeitig aufhaben. Denken Sie an die Professorin, die in Aufsichtsräten sitzt und Gelder mit Industriekooperationen einwirbt. Ihr Gegenstück sind die industriellen Wissenschaftsstars, für die eine Stiftungsprofessur eingerichtet wird.

Vor ein paar Jahrzehnten waren Uni und Hochschule noch weiter voneinander entfernt als heute. Das war und ist in der Chemie weniger stark ausgeprägt als in anderen Fachbereichen. Heute bemühen sich beide Seiten immer mehr, zusammenzuarbeiten. Beide Seiten unterhalten Stabsstellen, deren Hauptaufgabe es ist, als Sprachrohr zur Außenwelt zu dienen und Verbindungen aufzubauen.

Die Industrie bemüht sich, neue Produkte und Techniken zu finden (technology scouting) und begleitet akademische Projekte, etwa indem sie diese finanziert.

An Hochschulen sind nicht nur die Professor:innen an diesen Kooperationen beteiligt. Mittlerweile wurden viele Aufgaben des Wissenschaftsmanagements professionalisiert, um solche Interaktionen zu unterstützen: Denken Sie etwa an die Patentverwertungsstellen oder Gründungsberatungen.

Technologieparks sind bedeutsame Katalysatoren der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Industrie. Hier finden Ausgründungen aus der Hochschule oft ihre erste Heimat. „Wo würden Sie die Fraunhofer-Institute verorten?”, schließe ich das Thema. Keine einfache Frage: Fraunhofer-Institute sind öffentliche Einrichtungen, die sich aber zum größten Teil aus Industriemitteln für ihre Auftragsforschung finanzieren.

Es ist einfacher für Sie, wenn Sie bereits früh wissen, wo Sie beruflich zu Hause sind. Sie müssen aber vielleicht gar nicht Auf Wiedersehen zu einer Seite sagen. Im Grenzbereich zwischen Hochschule und Industrie gibt es spannende Aufgaben für Chemiker:innen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 11/23 Chemie für Laien

In einem Workshop analysieren wir, wie wir ein Laienpublikum mitnehmen können auf die Reise durch unsere Forschung. „Ich verstehe, dass wir nicht mit Fachausdrücken um uns schmeißen sollen”, beginnt Max. „Ich fühle mich aber nicht wohl dabei, Fachausdrücke durch Metaphern zu ersetzen. Wir sind doch nicht bei der Bild-Zeitung.” Sam ergänzt: „The God Particle statt Higgs-Boson – das ist doch nur reißerisch, ohne Mehrwert.”

Begriffe wie God Particle helfen dabei, Aufmerksamkeit zu erheischen. Damit ist aber auch schon alles Positive gesagt. Mit schlechten Metaphern holt man sich viel Beifang ins Boot: Übertreibung, Verwirrung oder Ausfransen der Diskussion in philosophische Debatten. Wenn das Higgs-Boson das Götterteilchen ist, stammt das Proton dann vom heiligen Geist? 

„Wie steht es mit Blueprint of Life für Desoxyribonukleinsäure?”, wirft Shixin ein. Das passt schon besser. Wir verstehen dadurch, wie die Proteine auf dem Bauplan der DNA codiert sind. Neuere Erkenntnisse wie epigenetische Informationsebenen werden mit Blueprint of Life zwar nicht erfasst, doch liegt das außerhalb der Reichweite eines einfachen Bilds. 

Haben Sie keine Angst davor, bildhafte Sprache zu verwenden. Manche Sprachbilder sind so wirkmächtig, dass sie in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen. Den Begriff Zelle hat Robert Hooke als Metapher Ende des 17. Jahrhunderts eingeführt, als er unter dem Mikroskop Strukturen erkannte, die ihn an kleine Zimmer, lateinisch „cella“, erinnerten. Einen ähnlichen Weg hat die optische Welle hinter sich. Oder denken Sie an den ökologischen Fußabdruck, invasive Spezies, Nahrungsketten oder den Treibhauseffekt – alles Begriffe, die mit der Zeit von der Metapher in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. 

Wenn Sie eigene Bilder oder Vergleiche entwickeln und abschätzen möchten, ob es eine gute oder schlechte Metapher ist, sollten Sie sich fragen: Geht ein Begriff nur flott von der Zunge? Dann ist es eine schlechte Metapher. Hilft ein Sprachbild hingegen, einen Sachverhalt für Ihr Publikum zugänglicher zu machen, dann ist es eine gute Metapher.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

Heft 10/23 Klein oder groß

In einem Workshop zum Thema „Ihr Weg in die Industrie” diskutieren wir die Vor- und Nachteile zukünftiger Arbeitgeber. „Mehr Geld, mehr Jobs, mehr Möglichkeiten“, fasst Bertrand die Argumente für die Großindustrie zusammen. „Das ist ein klasse Startpunkt für unsere Diskussion”, bedanke ich mich. Er schaut mich an, als hätte er mit seiner Aussage bereits alle Diskussionen besiegelt. Mehr Geld stimmt in aller Regel. Die Großindustrie zahlt nach dem Chemietarif, der nach den jahrzehntelangen Verhandlungen und einem konstruktiven Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern großzügig ausfällt: etwa 80 000 Euro bekommen promovierte Berufseinsteiger, um die 69 000 Euro solche mit Masterabschluss. Kleinere Unternehmen zahlen mindestens 15 bis 20 Prozent weniger. 

„Mehr Jobs?”, frage ich in die Runde. „Pro Betrieb sicherlich, aber auf die gesamte Wirtschaft gesehen bezweifele ich das”, wirft Inge ein. In der Tat sind Start-ups und in Deutschland insbesondere der Mittelstand ein Motor für den Arbeitsmarkt. Bei den Möglichkeiten hängt es von der Branche ab. Von einer Summer School eines Pharmariesen berichtet Bertrand, es gebe „Trainee-Programme, eine eigene Fortbildungsakademie, interne Karrierebegleiter: Ich weiß nicht, ob man das toppen kann.” Damit hat er recht.

Dennoch spricht einiges für kleinere Arbeitgeber: Sie sind weniger sichtbar und müssen sich daher bemühen, Arbeitskräfte zu finden und an sich zu binden. Viele von ihnen machen ihren Rückstand auf die Großindustrie mit Flexibilität, Einfallsreichtum und externen Bildungsangeboten wett.

Allerdings ist es aufgrund der vielen Mittelständler gar nicht so einfach, den passenden Arbeitgeber zu finden. Fach- und Lobbyverbände oder Technologieparks helfen bei der Suche. Unternehmen, die gerade öffentliche Fördermittel oder Risikokapital eingeworben haben, werden sich bald für neue Mitarbeitende interessieren – das ist der Zeitpunkt für eine Inititativbewerbung. Anhand der Informationen über kleine Unternehmen aus Patenten, Publikationen oder Zeitungsartikeln können Sie eine Bewerbung dort persönlicher gestalten.

In der Großindustrie bekommen Sie ein höheres Gehalt und einen bekannten Namen auf Ihrem Lebenslauf. Abgesehen davon ist es Geschmacksache, ob Sie ein großes oder ein kleineres Unternehmen vorziehen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

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zuletzt geändert am: 03.09.2024 06:41 Uhr von A.Miller