Karrierekolumne

Karrierekolumne aus den "Nachrichten aus der Chemie"

Philipp Gramlich und Karin Bodewits sind Gründer von Natural Science Careers – ein Unternehmen für Karriereberatung und Soft-Skill-Seminare für Naturwissenschaftler:innen. Für die Nachrichten aus der Chemie schreiben beide über Beobachtungen aus ihrer Beratungstätigkeit.

 

NCh 03/25 Nur für Muttersprachler:innen

In einem Bewerbungsworkshop demonstriere ich mit der Amerikanerin Faye den klassischen Einstieg eines Vorstellungsgesprächs: „Tell me a bit about yourself.” Sie antwortet wie aus der Pistole geschossen: In 60 Sekunden erfahren wir die Höhepunkte ihres Bildungswegs, ihre Motivation, sich zu bewerben, sowie ihren Mehrwert für den fiktiven Arbeitgeber. Die anderen Teilnehmenden sehen beeindruckt aus, aber auch ein wenig besorgt. Andreas fasst seine Gedanken zusammen: „Würden wir um dieselbe Stelle konkurrieren, könnte ich einpacken – ich könnte den Arbeitgeber nie so stark überzeugen.” 

Faye hat gute Arbeit geleistet. In den USA gehören solche kurzen Selbstvorstellungen zum Schulstoff – klar, dass sie so flüssig vorträgt. Dennoch: Für die Mitbewerbenden in der fiktiven Situation wäre noch nichts verloren. 

Faye hat sich in ihrer Muttersprache präsentiert, sie spielte ein Heimspiel. Das ist gleichzeitig Segen und Fluch. Wir alle sind ruhiger, wenn wir die Sprache sprechen dürfen, mit der wir aufgewachsen sind. Denn Muttersprachler:innen müssen weniger mentale Energie aufwenden, um die richtigen Worte zu finden. Sehr flüssig zu sprechen kann aber auch dazu führen, dass die Zunge schneller ist als der Geist.1) In Diskussionen kann das impulsive (Re-)Aktionen bewirken, bei einem Vortrag eine überhöhte Sprechgeschwindigkeit. Ihre Worte erst finden zu müssen, kann also durchaus ein Vorteil sein. Das ist meistens der Fall, wenn Sie sich in einer Fremdsprache ausdrücken. 

Ich frage in die Runde: „Haben Sie alles verstanden, was Faye gesagt hat?” „Ihr Englisch ist natürlich sehr gut”, antwortet Felix. „Dennoch finde ich es einfacher, das Englisch von jemandem zu verstehen, der kein Muttersprachler ist.” Er hat sich in der letzten Kaffeepause mit dem Niederbayern Andreas unterhalten – dessen Dialekt war für den gebürtigen Flensburger Felix schwierig zu verstehen. Im Gegensatz dazu ist Andreas‘ starker deutscher Akzent, wenn er Englisch spricht, zwar nicht schön anzuhören, aber sehr leicht zu verstehen. 

Wenn Sie in einer Fremdsprache sprechen, muss das für Sie also kein Nachteil sein: Eine mühsamere, dafür aber unter Umständen sorgfältigere Wortwahl und vielleicht sogar bessere Verständlichkeit spielen Ihnen in die Karten.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 02/25 Gehalt und Lebenssituation

In einem Karriereworkshop diskutieren wir zwei Prinzipien zur Gehaltsverhandlung. In einer Verhandlung brauchen wir einen Ankerpunkt. Bei Gehaltsverhandlungen ist das der Marktwert, also das Gehalt, das für Ihre anvisierte Position üblich ist. 

Beim ersten Prinzip siedeln Sie Ihre Gehaltsvorstellung im oberen Bereich dieses Marktwerts an, damit Sie etwas Puffer für die Verhandlung haben. Das zweite Prinzip heißt BATNA, kurz für Best Alternative To a Negotiated Agreement. Überlegen Sie: Was könnte passieren, falls die Verhandlung zu keinem befriedigenden Ergebnis führt? Von allen möglichen Szenarien ist das BATNA das beste Ergebnis, also Ihre Rückfalloption. 

Ich will von den Teilnehmenden wissen, ob ihre private Situation ihre Gehaltsvorstellung beeinflusst: „Stellen Sie sich vor, Sie oder Ihre Partnerin wären wohlhabend. Verändert das Ihre Gehaltsvorstellung?” 

„Wenn ich schon reich bin, brauche ich das Geld eigentlich nicht und muss auch nicht viel verlangen”, antwortet Ina. „Oder andersherum”, wirft Miroslav ein. „Man will seiner Partnerin ja auch nicht so sehr hinterherhinken, oder?” 

Ihre finanzielle Situation kann Ihre Gehaltsvorstellungen beeinflussen – sollte sie aber nicht. Bitten Sie um weniger als den Marktwert, geben Sie eine schlechte Arbeitsprobe ab. Denn wenn Sie schon nicht für sich einstehen, wie sollten Sie künftig im Namen des Arbeitgebers verhandeln und dessen Interessen angemessen vertreten können? Verlangen Sie hingegen mehr als den Marktwert, macht Sie das unattraktiv. 

„Beeinflusst Ihre persönliche Situation Ihre BATNA?”, stelle ich meine zweite Frage. Schnell merken die Teilnehmenden, worauf ich hinauswill. „Arbeitslosigkeit mit Geld ist angenehmer als Arbeitslosigkeit ohne Geld”, spricht Miranda das Offensichtliche aus. Und damit hat sie recht: Geht es Ihnen finanziell gut, sind Sie in der bequemen Situation, ein mittelmäßiges Angebot ablehnen zu können. 

Insbesondere Zweitverdiener:innen verkaufen sich oft unter Wert. Und weil viele Menschen Gehaltsverhandlungen als unangenehm empfinden, versuchen sie, diese mit einer defensiven Taktik schnell zu beenden. 

Die Gehaltsvorstellung zu nennen ist eine ziemlich mechanische Affäre. Sehen Sie es als Arbeitsprobe: Zeigen Sie dem Arbeitgeber, dass Sie Ihren Marktwert recherchieren und selbstsicher auftreten können.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 01/25 Verständlich sein reicht nicht

Mein erster Versuch, als Wissenschaftler mit einem Laienpublikum in Kontakt zu treten, war eine überraschend große Herausforderung. Während meines Postdocs nahm ich am Edinburgh Science Festival teil und stand dort vor 150 Schulkindern auf der Bühne. Ich bereitete mich viel intensiver vor als gewöhnlich bei Vorträgen: ein besonders ausführliches Vorab-Gespräch mit dem Moderator, ein dreidimensionales Modell als Anschauungsmaterial und viele Übungsläufe. Am Ende der Veranstaltung fragte der Moderator das Publikum, wer von uns sechs Wissenschaftler:innen den besten Eindruck hinterlassen hatte. Keine der 300 Hände ging für mich in die Luft. Wo lag mein Fehler? 

All meine Energie war auf die Frage gerichtet: Wie kann ich meine Wissenschaft speziell für diese Zielgruppe so erklären, dass sie verständlich ist? Bei all meinen Mühen und Überlegungen war ich vermutlich nicht komplett darin gescheitert, zumindest ansatzweise verständlich zu sein. Was ich allerdings nicht auf dem Schirm hatte: Was ich da erzählte, war schlicht nicht relevant für das Publikum. Für sie war es das weltfremde Gewerkel eines ausländischen Nerds, der tagelang durchsichtige Flüssigkeiten rührt und beim Anblick kryptischer Linien im Computer gelegentlich „Heureka” ruft. 

Ich befinde mich damit in guter Gesellschaft. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte einmal einen Moment, in dem die promovierte Physikerin in ihr durchbrannte: Bei einem Castor-Transport entwichen kleine Mengen radioaktiven Materials – zu einer Zeit, als es besonders intensive Proteste gegen diese Transporte gab. Merkel trat vor die Tagesschau Mikrofone und erklärte den Unfall. Da sei eben beim Umfüllen etwas daneben gegangen. Das könne man sich vorstellen, wie wenn Kinder im Sandkasten mit einem Schäufelchen Sand von einem Eimer in einen anderen füllen. 

Wäre es das Ziel gewesen, selbst solchen Zuschauer:innen den Prozess nachvollziehbar zu machen, die überhaupt nichts mit Technik am Hut haben, dann wäre die Erklärung passend gewesen. Das Anliegen der Zuschauer:innen war aber ein anderes: Sie wollten Gewissheit, dass so etwas künftig nicht mehr passiert. 

Es ist gut, dass Wissenschaft stets zugänglicher für die Öffentlichkeit wird und die Akteur:innen sich immer verständlicher ausdrücken. Für die meisten Situationen als kommunizierende Wissenschaftler:innen genügt dieser erste Entwicklungsschritt allerdings nicht: Wir müssen uns noch tiefer in unser Publikum versetzen und der Verständlichkeit noch Relevanz hinzufügen.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 12/24 Das Pferd springt höher, als es muss

„Ein Pferd springt nur so hoch wie nötig“, sage ich und nicke John zu, einem der Teilnehmer meines Workshops zum Verfassen von Förderanträgen. Er wirkt nachdenklich. Gerade hat er mich gefragt, ob es sinnvoll sei, einen kleinen Reisezuschuss zu beantragen. Denn seine Professorin verfüge über ausreichend Drittmittel, um eine Last-Minute-Reise zum Mars zu finanzieren – sollte jemals die NASA anklopfen. 

Die meisten Doktorand:innen in meinen Workshops haben noch nie einen Förderantrag gestellt. Sie scheinen zu denken, einen Förderantrag zu stellen, sei wie die Vorbereitung auf ein Ereignis, das so fern – und vielleicht auch unangenehm – ist wie der Weltuntergang. 

Dabei ist das Verfassen solcher Anträge eine wertvolle Fähigkeit, die Ihrer Karriere zu Gute kommen kann. Ob Sie in der Wissenschaft bleiben, für eine Nichtregierungsorganisation arbeiten oder in die Privatwirtschaft einsteigen möchten: Diese Erfahrung bringt bedeutende Vorteile. 

In der Wissenschaft geht es beim Antragstellen um mehr als nur die Finanzierung. Es geht darum, den Weg in die eigene Zukunft zu ebnen. Studien zufolge kommen Personen, die schon früh kleine Fördersummen erhalten, später leichter an größere. Diese ersten Erfolge signalisieren, dass Geldgeber Ihre Forschung anerkennen und dass Sie in der Lage sind, Projekte und Ressourcen zu verwalten. Darüber hinaus zeigen Sie, dass Sie überzeugend darlegen können, warum Ihre Arbeit wichtig ist. 

Fähigkeiten, die Sie beim Schreiben von Förderanträgen erlernen, sind auch für nicht-akademische Karrieren von Vorteil – selbst wenn Sie nie wieder einen Zuschuss beantragen sollten. Sie zeigen, dass Sie klar ausdrücken können, wie Ihr Projekt mit der strategischen Mission einer Organisation übereinstimmt und diese voranbringt. So kann es beispielsweise sein, dass Sie dem höheren Management eine neue Idee vorstellen oder ein Projekt für einen gesellschaftlich relevanten Zweck entwickeln. Es geht also nicht nur darum, Fördermittel zu sichern – es geht darum, Ihre Denkweise zu ändern. Sie lernen herauszuarbeiten, wo sich Ihre Interessen mit denen der Gegenseite überschneiden. Dies sind begehrte Fähigkeiten, egal ob Sie in der Wissenschaft landen oder Ihren Laborkittel gegen Blazer oder Sakko tauschen. Es lohnt sich, ab und zu etwas höher zu springen, als Sie müssten. Schreiben Sie Ihre ersten Anträge also so früh wie möglich.

Karin Bodewits, k.bodewits@naturalscience.careers

NCh 11/24 Wen interessiert der Posterpreis?

„Posterpräsentationen sind relevant”, beginne ich einen Workshop zum gleichnamigen Thema. Dieser Einstieg ist bewusst platt, um zum Denken anzuregen. Wäre etwas nicht wichtig, würde es kein Workshopthema sein. Beim Thema Poster ist das allerdings keine triviale Botschaft: Oft nehmen wir das Poster als Pflichtübung wahr. Um an Konferenzen teilnehmen zu dürfen, müssen wir meist einen Beitrag leisten – das Poster gilt als die niederschwellige Variante des prestigeträchtigen Vortrags. 

Ich zeige eine Umfrage, die in den Nachrichten aus der Chemie erschien [Nachr. Chem. 2016, 64(11), 1097]. Darin verraten Chemiker:innen aus der Industrie, welche Fähigkeiten sie sich von Absolvent:innen wünschen. Posterdesign ist mit 46 Prozent auf Platz drei, Posterpräsentation mit 41 Prozent auf Platz fünf. Stolze Zahlen für diese schlichte Pflichtübung. 

Ich schaue in die Runde: „Werden Sie als Industriechemikerin Poster präsentieren? Wohl eher nicht. Warum legt die Industrie dann solchen Wert darauf?” Nach einigem Überlegen meldet sich Olga zu Wort. „Wissenschaftlern wird nachgesagt, sie würden nicht auf den Punkt kommen. Und wenn wir versuchen, ein Full Paper auf ein Poster zu quetschen, dann verbringen wir die Postersession alleine.” 

Sie hat recht: Ein gutes Poster informiert prägnant und in Kürze. Der Titel – er zeigt den Besucher:innen, ob das Poster interessant für sie ist – und ein grafischer Blickfang sind zentral für ein gutes Posterdesign. Dazu noch wenige klar erklärte Abbildungen sowie deutlich sichtbare Schlussfolgerungen und fertig ist das Werk. 

Was für das Design gilt, sollte auch auf die Posterpräsentation angewendet werden. „Wie ist es für Sie, wenn Sie zu einem Poster gehen und gleich von einem langen Monolog zu einem winzigen Detail erschlagen werden?” Das Nicken in der Runde zeigt mir, dass das ein wiederkehrendes Phänomen ist. Eine gute Präsentation ist ein Dialog, der sich an den Interessen Ihrer Besucher:innen ausrichtet. 

Genau das sind die Gründe, warum die Industrie daran interessiert ist, ob Sie Poster entwerfen und präsentieren können. In der Privatwirtschaft müssen Sie mit einer größeren Bandbreite an Kollegen und Partnerinnen kommunizieren als an der Hochschule. Im Idealfall haben Sie einen Posterpreis, der mit einer schlichten Zeile im Lebenslauf zeigt: Sie können zielgruppenspezifisch kommunizieren und verlieren sich nicht in Details.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
 

NCh 10/24 Bewerbung ins Nichts

In einem Workshop zu Bewerbungen erzählt uns Hans von einem frustrierenden Erlebnis. „Ich habe mich auf eine ausgeschriebene Postdoc-Stelle beworben. Ich wurde nicht eingeladen. Als ich ein paar Monate später die Homepage der Forschungsgruppe besuchte, sah ich, dass niemand eingestellt worden war!” 

Es passiert überraschend oft, dass eine Stelle ausgeschrieben wird, die gar nicht existiert – oder dass es jemanden gibt, der die Stelle auf jeden Fall bekommen wird. 

„Woran können Sie erkennen, dass es einen Insider gibt, Sie also von vorneherein keine Chance haben und sich die Zeit sparen könnten?”, will ich von der Runde wissen. 

Ich selbst habe eine solche Situation erlebt – von der anderen Seite. Meine eigene Postdoc-Stelle war ursprünglich auf 18 Monate angelegt. Als ich mich um eine sechsmonatige Verlängerung bemühte, mussten wir diese offiziell ausschreiben. Selbstverständlich bestand keinerlei Interesse, mich von meiner Position zu verdrängen. 

„Wie, denken Sie, haben wir diese Stellenausschreibung formuliert, um uns und den Bewerbenden Zeit zu sparen?”, formuliere ich meine Frage um. 
„Ich würde es so spezifisch formulieren, dass nur Sie selbst darauf passen”, antwortet Josh. Genau so lief es: In der Stellenanzeige fragten wir nach Erfahrungen im Fachgebiet meiner Promotion, die thematisch nichts mit dem Postdoc zu tun hatten, dazu noch nach fließendem Deutsch. Die Univerwaltung war zufrieden: Zielmarke von null Bewerbungen erreicht durch übertrieben spezifische Stellenbeschreibung. 

„Wie soll ich damit umgehen, wenn ich gar keine Antwort von den Arbeitgebern erhalte?”, erkundigt sich Urzula. ‚Sich nicht aufregen‘ ist hier leicht gesagt. Wenn wir uns allerdings klarmachen, warum wir manchmal keine Antwort bekommen, dann verfliegt ein Teil unseres Ärgers von selbst. Klar kann Schlampigkeit oder gar Respektlosigkeit dazu führen, dass wir keine Antwort erhalten. Der häufigste Grund ist allerdings ein rechtlicher: Wenn der Arbeitgeber einen Grund nennt, warum er Sie ablehnt, birgt das immer ein Risiko. Denn Sie könnten versuchen, aus den Argumenten für die Ablehnung eine Form der Diskriminierung herauszulesen. 

Der Bewerbungsprozess kann uns viel Geduld abverlangen. Wenn Sie die Beweggründe der Arbeitgeberseite verstehen, vermeiden Sie Frustrationen oder können sie zumindest so einordnen, dass es Sie nicht herunterzieht.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 09/24 Die hypothetische Stellenbeschreibung

In einem Beratungsgespräch erzählt mir Postdoktorand Daniel von seiner Chefin: „Als Wissenschaftlerin, Führungskraft und Mensch ist sie klasse. Doch scheint sie ein paar blinde Flecken zu haben, wenn es um kulturelle Unterschiede geht, das führt oft zu Frustrationen.” Als Beispiel führt er an, wie die Professorin vor versammelter Mannschaft eine chinesische Doktorandin eine halbe Stunde zu deren Projekt befragt hat. Vermutlich wollte die Chefin Interesse zeigen und gemeinsam Lösungen für die wissenschaftlichen Probleme finden. Der Ton war sachlich, doch das beharrliche Nachfragen vor der Gruppen empfand die Doktorandin als Gesichtsverlust: „Später stand sie zitternd an ihrem Arbeitsplatz, mit Tränen in den Augen.” Vergeblich bot Daniel ihr an, darüber zu sprechen. „Bin ich verpflichtet, meine Kollegin stärker zu unterstützen, muss ich vielleicht sogar mit unserer Chefin sprechen?”

Es ist sympathisch, wie sehr er nebst der Wissenschaft auf zwischenmenschlicher Ebene mitdenkt. Allerdings fühlen sich Menschen mit einem so vielschichtigen Bewusstsein oft von ihrem Pflichtgefühl erdrückt. Wie weit geht unsere Verantwortung als Chefin, Kollege oder Mitarbeiterin?

„Was stünde in Ihrer Stellenbeschreibung,“ will ich wissen, „wenn diese wirklich gewissenhaft formuliert wäre und nicht nur als bürokratische Pflichtübung ausgefüllt wurde?” Darin stünde, dass Sie sich Ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten gegenüber konstruktiv verhalten sollen. Als Coach oder Berater für Ihre Chefin aufzutreten stünde nicht darin. Diese Erkenntnis kann Ihnen diese schwierige Entscheidung erleichtern: Sie können, müssen Ihre Chefin aber nicht auf deren Schwachstellen hinweisen. Wenn Sie es tun, ist das redlich und lobenswert, und Sie können stolz auf sich sein. Sie sollten hingegen nachsichtig mit sich sein, wenn Sie Ihr Soll nicht immer übererfüllen: Sie sind vor allem Ihren Kernaufgaben und Ihrer mentalen Gesundheit verpflichtet.

Dieses Wissen können Sie nicht nur auf Fragen rund um Ihre Pflichten anwenden, sondern auch auf Ihre Rechte. Etwa wenn Sie überlegen, ob es in Ordnung ist, dass Sie sich für Ihre berufliche Weiterentwicklung und ein abwechslungsreiches Aufgabenspektrum einsetzen. Die Antwort wird Ihnen jetzt leicht fallen: Ja, natürlich ist das in Ordnung. Sie sind kein Roboter, sondern eine hoch qualifizierte Fachkraft, die sich durch lebenslanges Lernen fit halten sollte – eine klare Kernaufgabe Ihres Aufgabenprofils.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 07-08/24 Alles eine Arbeitsprobe

Clara ist überglücklich: Eine Topkanzlei bietet ihr eine Stelle als Patentanwaltskandidatin an. Das Gehalt im Vertragsentwurf liegt jedoch unter dem marktüblichen Tarif – Clara ist verwundert. Dennoch schreibt sie zwei Tage später der Personalerin, dass sie die Stelle gerne annehmen würde. Wer weiß, ob sich so eine Chance noch einmal ergibt? Die Antwort der Personalerin haut Clara um: „Wir möchten Ihnen keine Stelle anbieten. Das zugesandte Dokument war nur ein Vertragsentwurf zur Ansicht, ohne Unterschrift von uns.” Auf Nachfrage, warum sie plötzlich nicht mehr erwünscht sei, bekommt Clara dann zu hören: „Wenn Sie für uns arbeiten, müssen Sie den Klienten mindestens 350 Euro Stundensatz berechnen. Das benötigt ein gewisses Business-Mindset. Wenn Sie nicht einmal für sich selbst ein marktkonformes Gehalt fordern, dann werden Sie das vermutlich auch nicht im Namen der Kanzlei tun.”

Bei etwas so Gewichtigem wie einem Arbeitsvertrag sollten Sie immer auf die korrekte Schriftform achten. Das war Claras handwerklicher Fehler. Zudem hat sie ein Prinzip missachtet, das für den gesamten Bewerbungsprozess gilt – jeder Schritt ist eine Arbeitsprobe. Für ein marktkonformes Gehalt einzutreten ist keine Gier, sondern zeigt Ihrem künftigen Arbeitgeber: Sie werden seine Interessen selbstbewusst vertreten.

Den Klassiker solcher versteckter Arbeitsproben kennen wir aus Filmen: Der schrullige Portier ist der erste Test, ob Ihre Umgangsformen höflich sind. Ich selbst wurde auf die Probe gestellt, als ich nach einer offenen Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Als ich wissen wollte, über was für eine Stelle wir eigentlich sprechen, hieß es, das würde erst gegen Ende des Gesprächs diskutiert – ein Test, wie ich mit dieser Unsicherheit umgehen würde. Solche Tests treten an vielen verschiedenen Momenten auf. Denn von allen Arten von Interviewfragen liefern Arbeitsproben der Arbeitgeberin die meiste Information. 

Ruft der Arbeitgeber Sie ohne Vorankündigung an, um ein paar Eckpunkte Ihrer Bewerbung zu klären? Fragen Sie sich einfach, wie Sie in einer ähnlichen Situation in Ihrer neuen Stelle reagieren sollten. Das reduziert den Stress und macht klar, welche Taktik die richtige wäre. Eine gute Strategie: Entschuldigen Sie sich für Ihre Unpässlichkeit und vereinbaren einen Termin, an dem Sie ungestört sprechen können.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers
 

NCh 06/24 Chemiker promovieren

„Chemiker promovieren! Wenn Ihnen das nicht gefällt, brechen Sie ab!“ Nach wie vor werden Erstsemester mit solchen Worten begrüßt. Ist das noch zeitgemäß? Sind Bachelor- und Masterabschluss 25 Jahre nach Unterzeichnen der Bologna-Reform in der Chemie noch immer nicht als berufsbefähigende Qualifizierungen etabliert?

Die Promotionsquote in Chemie lag in Deutschland im Jahr 2023 bei 85 Prozent. Wer den Berufseinstieg mit Bachelor- oder Masterabschluss sucht, schwimmt also nach wie vor gegen den Strom. Arbeitgeber setzen Bachelor-Absolvent:innen meist chemisch-technischen Assistenten gleich – trotz des stärkeren Theoriefundaments.

Die einzigen Stellen in der Privatwirtschaft, bei denen eine Promotion nahezu unabdingbar ist, sind verantwortungsvolle Positionen in der Forschung. Dennoch wird die Promotion in Chemie – im Gegensatz zu fast allen anderen Fachrichtungen – oft als gottgegebene Konstante hingenommen. Dabei sind sie mit Masterabschluss und vier Jahren Erfahrung in der Industrie für die meisten Stellen mindestens genauso gut qualifiziert wie ein promovierter Berufseinsteiger.

Wie bekommen Sie nun ohne Promotion einen Fuß in die Türe? Eine klassische Henne-Ei-Situation, könnte man meinen. Allerdings verschiebt sich derzeit der Arbeitsmarkt: Der landesweit schon länger beklagte Fachkräftemangel schlägt sich in der Chemie aufgrund hoher Studierendenzahlen erst jetzt nieder. Betriebe, die bereit sind, mit den Traditionen rund um die Promotion zu brechen, werden erwartbar stärker mit Doktormüttern um Masterabsolventen konkurrieren. Erstsemester dürften dann mehr und mehr zu hören bekommen: „Wir hoffen, dass Sie nach dem Studium noch für eine Promotion bei uns bleiben.”

Wenn Sie direkt nach dem Bachelor in den Beruf einsteigen wollen, dann lassen Sie Ihre Vorgesetzte wissen, dass Sie gerne Aufgaben jenseits des Laboralltags ausfüllen möchten und bereit sind, sich dafür fortzubilden.

Für den Berufseinstieg direkt nach dem Masterstudium sollten Sie sich bewusst sein, dass Arbeitgeber in Deutschland sich in Stellenanzeigen traditionell gern elitär darstellen. Nehmen Sie also nicht alles wörtlich. Wenn Sie herausarbeiten, warum Sie bereits jetzt die nötigen Qualifikationen mitbringen, zeigen Sie damit: Ich habe verstanden, welche Attribute und Eigenschaften im beruflichen Alltag zählen. Das ist eine schöne Arbeitsprobe Ihrer Fähigkeiten, Informationen zu recherchieren.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 05/24 Sie riechen streng

Als ich noch im Labor aktiv war, fand ich eines Morgens einen Zettel über der Laborbank eines Kollegen: “If you touch my glassware, I will break your fingers. Sincerely, Czeslaw.”

Ich nutze dieses Beispiel gerne, um in das Thema „direkte und indirekte Kommunikation“ einzusteigen. Direkte Kommunikation ist verständlich, kann allerdings als harsch empfunden werden. Indirekte Kommunikation dagegen versteckt die eigentliche Aussage hinter Höflichkeiten und ist dadurch schwer verständlich.

In einem Workshop diskutierten wir einen besonders schwierigen Fall: Wie sagen Sie einem Kollegen, dass er einen deutlichen Körpergeruch hat? Sascha tastet sich an die Herausforderung heran. „Vielleicht ist es Dir noch nicht aufgefallen, aber in Deinem Büro riecht es ein bisschen. Vielleicht kommt das ja vom Lüftungssystem?” Renata fängt an zu lachen: „Will sagen, du stinkst wie die tote Ratte, die neulich im Lüftungsschacht gefunden wurde?”

Saschas Hintertürchen sollte dem Empfänger helfen, sein Gesicht zu wahren. Unbeabsichtigt hat er dadurch das Problem aber größer gemacht, als es ist – ein gutes Beispiel für die Komplexität indirekter Kommunikation.

Daniel meldet sich zu Wort. „Meine Professorin wollte neulich nur einen Tipp abgeben, aber das ging richtig schief: ‚Vielleicht ist die Verwendung von Deodorant in Ihrer Kultur unüblich.‘ Das empfanden viele wenig überraschend als rassistisch.“

„Wissen Sie, wie ich auf das Thema Körpergeruch gestoßen bin?”, frage ich in die Runde. „Die stinkende Person war ich. Ich musste zwei Wochen lang starke Medikamente nehmen, konnte aber noch arbeiten.” Ich erzähle, wie mich ein Kollege zur Seite nahm und mich mitfühlend fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei, da er zuvor noch nie meinen Körpergeruch wahrgenommen hatte. „Ich war mir des Problems bewusst, aber nicht dessen Ausmaßes. Ich war meinem Kollegen unendlich dankbar, dass er die unangenehme Aufgabe auf sich nahm, mir diesen gut gemeinten Hinweis zu geben.”

Bei der Wahl zwischen direkter und indirekter Kommunikation gibt es kein Richtig oder Falsch. Die Auffassung, dass direkte Kommunikation zwingend mit Unhöflichkeit einhergeht, stimmt nicht. Mein Kollege war direkt. Er wählte den richtigen Kontext, das vertrauliche Einzelgespräch. Er gab mir das Gefühl, dass es sein Ziel war, Schaden von mir abzuwenden, nicht, mich niederzumachen.

Die Intention zählt mehr als die Verpackung unserer Worte.

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

NCh 04/24 Die Ideale der Arbeitgeber

In einem Beratungsgespräch offenbart mir Laura ihr Problem mit ihrem derzeitigen Arbeitgeber: „Meine Firma erhält derzeit viel negative Presse. Und an den Vorwürfen ist mindestens ein Körnchen Wahrheit dran.” Sie erzählt von abenteuerlichen Konstrukten in Steueroasen, Rohstoffen aus sensiblen Naturgebieten, Marketing voller Greenwashing. 

Ihre Arbeitsbedingungen sind gut: Ihre Kolleg:innen bilden ein funktionierendes, herzliches Team; ihre Aufgaben sind angenehm herausfordernd. Ihre Vorgesetzte setzt sich aktiv für ihre Mitarbeiter:innen sowie deren Bedürfnisse und Entwicklung ein. Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen mit kontroversen Mitteln und Partnern, solange die gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen eingehalten werden. Das erzeugt bei den Arbeitnehmer:innen einen inneren Konflikt: Die Unternehmensentwicklung steht den eigenen Überzeugungen entgegen. Und Laura fragt sich: „Kann ich noch bei dieser Firma bleiben, oder werde ich daran zerbrechen?” Das lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Zu berücksichtigen ist: Gibt es darüber hinaus praktische Konsequenzen, wenn der Arbeitgeber sich entgegen der eigenen Moral verhält? Wird die Arbeit als inhaltsleer oder gar destruktiv empfunden, kann das schlimmstenfalls zum Burn-out führen – ganz ohne Überarbeitung. 

Selbst wenn die eigenen Ideale denen des Arbeitgebers entsprechen, der Rest der Gesellschaft aber anders darüber denkt, sind Sie dauernd nagenden Rückfragen ausgesetzt. Es kann schön sein, sich für seine Überzeugungen einzusetzen, wird aber oft als ermüdend wahrgenommen. 

Moralische Konflikte können es Arbeitgebern erschweren, geeignete Arbeitnehmer:innen zu finden. Dadurch könnten entweder notgedrungen die Gehälter steigen, oder der Arbeitgeber wird durch solch ein langfristiges Problem destabilisiert. Im akademischen Umfeld können Sie ähnliche Überlegungen anstellen. Knapp ein Fünftel der Drittmittel stammt aus der Industrie, die als Geldgeber Bedingungen stellen kann. Für die Forschenden ist wissenschaftliche Unabhängigkeit zentral. Darüber hinaus ist es einfacher, Promovierende und Postdocs anzuwerben, wenn die eigene Forschung als nutzbringend wahrgenommen wird. 

Moralische Überlegungen sind stets zutiefst persönlich. Schieben Sie diese nicht zur Seite, sondern fragen Sie sich: Passen bei diesem Arbeitgeber nicht nur die Entwicklungsperspektive, sondern auch die moralischen Werte?

Philipp Gramlich, p.gramlich@naturalscience.careers

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zuletzt geändert am: 07.03.2025 09:24 Uhr von A.Miller