Über vier Jahrzehnte forschte Marga Faulstich für das Unternehmen Schott. Sie entwickelte leichte Brillengläser sowie zahlreiche optische Gläser für Fernrohre und Mikroskope.
Wer am 16. Juni 2018 die Internet-Suchmaschine Google öffnete, sah in dem Doodle – dem variierten Google-Logo – eine dunkelhaarige Frau, umgeben von Laborgeräten und Glasgefäßen, die durch zwei verschiedenfarbige runde Gläser blickt. Mit der Illustration erinnerte der US-Konzern an die Glasforscherin Marga Faulstich, die an diesem Tag 103 Jahre alt geworden wäre.
Geboren am 16. Juni 1915 in Weimar, zog Faulstich im Jahr 1922 mit ihrer Familie nach Jena. Dort besuchte sie das Realgymnasium, das sie mit dem Abitur abschloss. 1935 begann sie eine Ausbildung als wissenschaftliche Hilfskraft beim Jenaer Glaswerk Schott. Das Unternehmen zählte zu den führenden europäischen Herstellern von optischen und technischen Spezialgläsern.
In ihren Anfangsjahren bei Schott beschäftigte sich Faulstich mit dünnen Glasbeschichtungen. 1939 reichte die Forschergruppe, in der sie mitwirkte, ein Patent ein, das seitdem als Basis für die Herstellung von Sonnenbrillen, entspiegelten Brillengläsern und Glasfassaden dient. Weitere 40 weltweit genutzte Patente unter Beteiligung Faulstichs folgten im Laufe der Zeit.
Bei Schott machte Faulstich schnell Karriere: Von der wissenschaftlichen Hilfskraft stieg sie erst zur Laborantin, dann zur wissenschaftlichen Assistentin und schließlich zur selbstständig arbeitenden Forscherin auf. Nach dem Tod ihres Verlobten während des Zweiten Weltkriegs widmete sie sich ausschließlich dem Berufsleben. Neben ihrer Tätigkeit bei Schott begann sie 1942 ein Chemiestudium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. In den Wirren des Krieges gelang es ihr jedoch nicht, das Studium mit einem Examen abzuschließen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Jena, weltweit berühmt für seine fortschrittliche Glasmacherkunst, zur sowjetischen Besatzungszone. Da die westlichen Alliierten vom angesammelten Wissen und Können der Glasindustrie profitieren wollten, brachten sie 41 Spezialisten und Führungskräfte, unter ihnen Faulstich, in die amerikanische Besatzungszone. Bereits 1949 entstand im bayerischen Landshut ein provisorisches Forschungslabor.
Nach der Enteignung des Jenaer Schott-Werks im Jahr 1948 und der Teilung Deutschlands im Folgejahr, verhandelte der Unternehmer Erich Schott (1891-1989) mit der Stadt Mainz über eine Neuansiedlung des Glaswerks auf dem Gelände eines ehemaligen Schlachthofes. Im Mai 1952 nahm dort ein neues Schott-Werk die Produktion auf.
Faulstich wurde die erste weibliche Führungskraft bei Schott in Mainz. Sie erforschte und entwickelte neue Gläser, vor allem Spezialgläser für Mikroskope und Fernrohre, und leitete neben ihrer Forschungstätigkeit 16 Jahre lang eine Tiegelschmelze. Internationale Anerkennung erntete sie besonders für die Erfindung des leichten Brillenglases Schwerflint 64 (SF 64). Statt des Schwermetalls Blei enthält es Titan und wiegt deshalb deutlich weniger. Die US-amerikanische Industrial Research Incorporation zählte SF 64 zu den hundert wichtigsten Innovationen des Jahres 1973 und verlieh Faulstich dafür die Industrial-Research-100-Medaille. Insgesamt gehen über 300 Typen an optischen Gläsern auf den Erfindungsreichtum dieser bemerkenswerten Forscherin zurück.
Nach einer 44-jährigen Tätigkeit im Dienst von Schott trat Marga Faulstich im Jahr 1979 in den Ruhestand. Sie verstarb im Alter von 82 Jahren am 1. Februar 1998 in Mainz.
Schott Glaswerke (Herausgeber): Von Jena nach Mainz – und zurück. Schott-Geschichte zwischen Kaltem Krieg und deutscher Wiedervereinigung, Mainz, 1995
Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.
Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns
Redaktionelle Bearbeitung
Dr. Uta Neubauer
Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)
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zuletzt geändert am: 12.07.2024 14:47 Uhr von K.J.Schmitz