Hildegard Hess trat in die Fußstapfen ihres Vaters. Schon während ihrer Doktorarbeit an der Technischen Universität Berlin war sie für sein Analytiklabor tätig. Schließlich übernahm sie es und leitete es drei Jahrzehnte.
Hildegard Hess wurde 1920 im Berliner Ortsteil Britz geboren. Ihr Vater Ludwig Hess (1882-1956) war Direktor einer Fabrik des Chemieunternehmens Riedel de Haën, ihre Mutter Hertha eine ausgebildete Krankenschwester. Da die Familie damals in einer Dienstwohnung auf dem Werksgelände wohnte, kam Hess früh in Kontakt mit der Chemie. Im Jahr 1931 übernahm der Vater als staatlich approbierter Lebensmittelchemiker und Handelschemiker ein chemisches Untersuchungslabor.
Hess besuchte eine Klosterschule und war daher von einer Mitgliedschaft im Bund Deutscher Mädel befreit. Das Abitur legte sie 1939 ab – kurz bevor die Schule von den Nationalsozialisten geschlossen wurde. Anschließend begann sie ein Chemiestudium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, wechselte aber bald an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Die Ausbildung schloss sie 1944 an der Berliner Reichsanstalt für Lebensmittelchemie und Arzneimittelchemie ab. Zu ihren akademischen Lehrern zählten die späteren Chemienobelpreisträger Hermann Staudinger (1881-1965) und Georg Wittig (1897-1987). „Unter Professor Wittig habe ich die Chemie eigentlich erst begriffen“, sagte Hess im Rückblick. Er sei mit seiner Begeisterungsfähigkeit ihr wunderbarster Lehrer gewesen.
Nach dem Examen trat Hess in das Handelslabor ihres Vaters ein. Neben dieser Tätigkeit promovierte sie bei Josef Schormüller (1903-1974) am Institut für Lebensmittelchemie der Technischen Universität Berlin über den Gehalt von Vitaminen im Myzel von Mikroorganismen. Der Doktortitel wurde ihr 1953 verliehen. Ein Jahr später erfolgte ihre öffentliche Bestellung und Vereidigung als Handelschemikerin. Damit durfte Hess als Beraterin sowie Sachverständige für Hersteller und Handel in der Chemie tätig sein. In Berlin, vermutlich sogar deutschlandweit, war sie die erste Frau in dieser Position.
Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1956 übernahm Hess dessen Handelslabor und leitete es drei Jahrzehnte. 1986 fusionierte das Labor mit dem drei Jahre zuvor gegründeten Institut Kirchhoff Berlin, einem Dienstleistungsunternehmen für Analytik, das heute noch besteht.
Neben ihrer Arbeit als selbstständige Chemikerin unterrichtete Hess an der TU Berlin, wo sie von 1955 bis 1965 einen Lehrauftrag in den Ernährungswissenschaften innehatte. Außerdem gab sie Kurse für Lebensmittelhändler. Am 23. Juli 2014 verstarb Hildegard Hess im Alter von 84 Jahren in Berlin.
Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.
Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns
Redaktionelle Bearbeitung
Dr. Uta Neubauer
Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)
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Foto: Hildegard Hess, aus Chemikerinnen – es gab sie und es gibt sie,, Broschüre der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), 2003, S. 26
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zuletzt geändert am: 16.04.2021 11:37 Uhr von N/A