Erika Cremer

Erika Cremer (1900-1996): Erfinderin der Gaschromatographie

Schon ihr Vater förderte ihr naturwissenschaftlich-technisches Talent und legte damit den Grundstein für eine Karriere in der Chemie. Die internationale Anerkennung, die Erika Cremer verdient hätte, wurde ihr allerdings nicht zuteil.

Erika Cremer wurde am 20. Mai 1900 in München geboren. Ihr Vater Max Cremer (1865-1935) war ein bekannter Physiologie-Professor, der die Glaselektrode mitentwickelte. Das naturwissenschaftlich-technische Interesse seiner Kinder förderte er früh und mit Erfolg: Nicht nur Erika Cremer, später Professorin für Physikalische Chemie an der Universität Innsbruck, machte Karriere in der Wissenschaft. Ihr älterer Bruder Hubert (1897-1983) wurde Professor für Mathematik und Großrechenanlagen an der RWTH Aachen, ihr jüngerer Bruder Lothar (1905-1990) war Professor für Technische Akustik an der TU Berlin und außerdem Direktor des Heinrich-Hertz-Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft. 

Als Max Cremer 1911 einen Ruf an die Berliner Universität annahm, zog die gesamte Familie in die deutsche Hauptstadt. An einer Studienanstalt für junge Frauen, in der die Naturwissenschaften einen hohen Stellenwert genossen, bestand Cremer 1920 das Abitur. Anschließend studierte sie in Berlin Chemie, Physik und Mathematik. Ihre Doktorarbeit, in der sie die Chlorknallgasreaktion erforschte, fertigte sie bei dem renommierten Physikochemiker Max Bodenstein (1871-1942) an. Den Doktorgrad erlangte sie 1927. 

In ihren wissenschaftlichen Wanderjahren arbeitete die junge Chemikerin meistens unbezahlt, etwa bei dem späteren Nobelpreisträger Georg Karl von Hevesy (1885-1966) in Freiburg und Michael Polanyi (1891-1976) am Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin. Im Jahr 1936 kehrte Cremer zu ihrem eigentlichen Forschungsschwerpunkt zurück, der explosionsartig verlaufenden Kettenreaktion zwischen Wasserstoff und Chlor. Sie arbeitete unter anderem bei Otto Hahn (1879-1968) am KWI für Chemie in Berlin. Über diese Zeit schrieb sie 1989 den viel beachteten Artikel „Zur Geschichte der Entfesselung der Kernenergie“ in der Österreichischen Chemiker-Zeitung. 

Ihre Habilitation schloss Cremer 1939 gegen den Willen des Dekans ab. Im Folgejahr wechselte sie an die Leopold-Franzens-Universität nach Innsbruck, wo sie die Lehrbefugnis erhielt und gleichzeitig in das Beamtenverhältnis auf Widerruf eintrat – zunächst aber ohne Bezüge. 1945 übernahm sie die kommissarische Leitung des Physikalisch-chemischen Instituts. Sechs Jahre später wurde sie zur außerordentlichen Universitätsprofessorin und zum Institutsvorstand bestellt. Erst 1959 – also über drei Jahrzehnte nach Abschluss ihrer Doktorarbeit – ernannte die Universität Innsbruck Cremer zur ordentlichen Professorin für Physikalische Chemie. Diese Professur übt sie bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1970 aus. 

Erika Cremer gilt als Erfinderin der Gaschromatographie, deren wissenschaftliche Grundlagen sie vor allem zusammen mit ihrem Schüler Fritz Prior erarbeitete. Obwohl Cremer über 200 wissenschaftliche Artikel veröffentlichte, stellte sich die internationale Anerkennung nur zögerlich und mit großer Verspätung ein. Während die beiden britischen Chemiker Archer J. P. Martin (1910-2002) und Richard L. M. Synge (1914-1994) für ihre Arbeiten zur Gas-, Säulen- und Papierchromatographie im Jahr 1952 den Nobelpreis für Chemie erhielten, ging Cremer leer aus. Gleichwohl hat sie die Entwicklung neuer Analysentechniken maßgeblich vorangetrieben. Die technische Umsetzung der von ihr entwickelten Verfahren lag Cremer stets am Herzen, daher kooperierte sie mit Chemie- und Pharmaunternehmen sowie mit Herstellern von Analysegeräten. 

Cremer war nie verheiratet und blieb kinderlos. Ihre ganze Kraft widmete sie der Forschung und Lehre. Während ihrer Tätigkeit in Innsbruck betreute sie über 70 Doktoranden und vier Habilitanden. Ihren Stil beschrieb einer ihrer Schüler so: „Sie liebte das Chaos, die Entropie war immer ein beliebter Begriff. Sie hatte Ideen, sie war brillant, das machte ihre Stärke aus.“ Erika Cremer verstarb am 21. September 1996 in Innsbruck.

Quellen

  • G. Oberkofler: Erika Cremer (1900-1996) – Ein Leben für die Chemie, herausgegeben von der Zentralbibliothek für Physik in Wien, Studien-Verlag Innsbruck/Wien/Bozen, 1998
  • B. Bischof: Cremer, Erika, in: B. Keintzel, I. Korotin (Herausgeber): Wissenschaftlerinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar, 2002, S. 121-124, ISBN 3-205-99467-1
  • Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh): Chemikerinnen – es gab sie und es gibt sie, Broschüre, 2003, S. 17

Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.

Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns 

Redaktionelle Bearbeitung 
Dr. Uta Neubauer

Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)

Verantwortlich für den Inhalt der Biographien sind die Autoren.
Die auf diesen Seiten dargestellten Inhalte sind sorgfältig erarbeitet. Autoren, Redaktion und Herausgeber übernehmen dennoch keine Verantwortung oder Haftung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Inhalte oder für Tippfehler.

Foto: Letizia Mancino Cremer, Erika Cremer by Letizia Mancino CremerCC BY-SA 4.0

zurück zur Übersicht Chemikerinnenbiographien

zurück zu Publikationen

zuletzt geändert am: 16.04.2021 11:36 Uhr von K.J.Schmitz