Als Kind experimentierte sie im Labor ihres Großvaters, als Chemikerin machte Edith Weyde Karriere bei der Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication, kurz Agfa. Sie entwickelte Stabilisatoren für Fotopapier und erfand die erste Fotokopiertechnik.
Edith Weyde wurde am 17. September 1901 in Prag geboren und wuchs in Aussig an der Elbe im nördlichen Böhmen auf. Ihr Vater stammte aus Österreich und war Gymnasiallehrer. Ihr Großvater, der Botanik, Zoologie und Chemie studiert hatte, besaß ein Labor, das schon früh das Interesse seiner Enkelin am naturwissenschaftlichen Experimentieren weckte.
Mit dem Abitur im Jahre 1919 erwarb Weyde zwar die allgemeine Hochschulreife, sie begann aber – wahrscheinlich aus finanziellen Gründen – nicht sofort mit dem Chemiestudium, sondern arbeitete zunächst vier Jahre lang als Laborantin im Österreichischen Verein für chemische und metallurgische Produktion, einem Industrieunternehmen in Aussig.
Erst 1923 nahm Weyde das Chemiestudium an der Technischen Universität Dresden auf. Nach nur vier Jahren schloss sie ihre Dissertation zum Thema „Neue Materialien für Röntgenschirme“ ab und wurde zum Doktor der Ingenieurswissenschaften promoviert. Ihr Doktorvater war der Chemiker Robert Luther (1867-1945), Gründer und Direktor des Photographischen Instituts der TU Dresden und dort Professor für physikalische Chemie. Bevor Luther auf den Lehrstuhl in Dresden berufen wurde, hatte er lange Zeit als Assistent beim Chemienobelpreisträger Wilhelm Ostwald (1853-1932) in Leipzig geforscht.
Auf Empfehlung ihres Doktorvaters nahm Weyde 1928 eine Stelle im photographisch-photochemischen Labor der IG Farben in Oppau bei Ludwigshafen an. Im Jahr 1932 wechselte sie zur Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication, kurz Agfa, nach Leverkusen. Hier nahm ihre berufliche und wissenschaftliche Karriere Fahrt auf.
Zu Weydes ersten Aufgaben bei Agfa zählte die Optimierung von Fotopapier, damit es sich in feuchtwarmer Umgebung besser verarbeiten und lagern lässt. Sie entwickelte Stabilisatoren für die fotografischen Schichten, dank derer die Papiere tropentauglich wurden. An der Entwicklung der ersten Agfacolor-Papiere für die Farbfotografie war Weyde ebenfalls beteiligt. In ihren Aufgabenbereich gehörte zudem die Materialprüfung und die Bewertung von Reklamationen der Kunden. Die sorgsame Überprüfung der Beanstandungen und die intensive Ursachenerforschung führten schließlich zu ihrer wichtigsten Entdeckung, der bis dahin unbekannten Diffusion von Silbersalz in den fotografischen Schichten. Dieser unerwünschte Prozess beeinträchtigte die Qualität der Fotos und war somit ein Grund für zahlreiche Kundenbeschwerden.
Im klassischen Entwicklungsprozess wurde zunächst ein Negativ angefertigt, aus dem im nächsten Arbeitsschritt das Positiv, das eigentliche Foto, entstand. Die Fotoabzüge wurden hierfür im Stapel vom Entwicklerbad ins Fixierbad gebracht. Weyde erkannte, dass sich unbelichtetes Bildsilber von den entwicklerfeuchten Abzügen löste, in die Rückseite der darüber haftenden Schicht diffundierte und dort fixiert wurde. Dadurch bildeten sich verschwommene Negative und unansehnliche Flecken auf der ansonsten hellen Fotorückseite.
Durch die Entdeckung der Silbersalz-Diffusion kam Weyde die Idee einer neuen Technik, die Negativ und Positiv gleichzeitig entwickelte und so zu einer enormen Zeitersparnis beim Anfertigen von Kopien führte. Die Technik war ideal für die rasche Vervielfältigung wichtiger Dokumente, etwa im Büroalltag, für den sich das zeitraubende fotografische Verfahren nicht eignete. Weyde entwickelte die Idee bis zur Marktreife.
Am 25. Januar 1942 erhielt Agfa das Patent für Weydes „Verfahren zur beschleunigten Herstellung eines photographischen Positivbildes nach einer Vorlage“. Wegen des Zweiten Weltkriegs kam die als Copyrapid bezeichnete Technik aber erst 1949 auf den Markt. Unmittelbar nach der Währungsreform im Jahr 1948 hatte Agfa alle bekannten deutschen Hersteller von fotografischen Produkten eingeladen, um ein auf Weydes Erfindung basierendes bürotaugliches Fotokopiergerät zu konstruieren. Walter Eisbein, Mitinhaber des Stuttgarter Unternehmens Trikop, brauchte dafür nur acht Wochen. Sein Gerät namens Develop (engl. für entwickeln) übertraf alle Erwartungen. Nach Vorstellung des neuartigen Fotokopierverfahrens etablierte sich der von den Herstellern und Erfindern benutzte Name „Blitzkopie“.
Die Blitzkopie war sofort erfolgreich und eroberte auch andere europäische Länder. In den USA kam die Kopiermethode 1952 auf den Markt. Wie bei vielen Innovationen fanden parallele Entwicklungen statt. Ende der 1970er Jahre wurde das Diffusionskopierverfahren von neuen Techniken wie dem Xerox-Verfahren verdrängt. Letztendlich aber verdanken wir es der Chemikerin Weyde und ihrem Erfindergeist, dass das Kopieren von Schriftstücken und anderen Dokumenten heute so gängig ist.
Edith Weyde verstarb am 10. Februar 1989 in Kürten, einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Der breiten Öffentlichkeit sind ihre genialen Leistungen zwar weitgehend unbekannt, in Fachkreisen aber wurde Weyde mehrfach ausgezeichnet. Eine der wichtigsten Ehrungen war der Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie, der ihr 1963 verliehen wurde.
Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.
Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns
Redaktionelle Bearbeitung
Dr. Uta Neubauer
Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)
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Foto: Portrait of Edith Weyde author Harald Koechlin BY, Attribution: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=49097112
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zuletzt geändert am: 20.04.2022 15:41 Uhr von K.J.Schmitz