Sie war eine Autodidaktin, die aus den Büchern ihres Bruders lernte und beim Geschirrspülen die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten untersuchte. Der britische Wissenschaftler Lord Rayleigh verhalf Agnes Pockels zum Durchbruch. Schließlich durfte sie an der Technischen Hochschule Braunschweig forschen.
Agnes Luise Pockels wurde am 14. Februar 1862 in Venedig als Tochter von Alwine und Theodor Pockels, einem österreichischen Berufsoffizier, geboren. Ihr Bruder Fritz kam drei Jahre später in Vincenza zur Welt. Die damals in der Region grassierende Malaria verschonte auch die Familie Pockels nicht und führte schließlich zur Frühpensionierung des Vaters.
Im Jahr 1871 zog die Familie nach Braunschweig, wo Pockels die städtische höhere Mädchenschule besuchte. Die junge Frau verzichtete auf ein Studium, um ihre kränkelnden Eltern zu pflegen. Dennoch entwickelte sie sich mit den Physiklehrbüchern ihres Bruders, der später Physikprofessor wurde, autodidaktisch zur Wissenschaftlerin und machte – quasi beim täglichen Geschirrspülen – bedeutsame Beobachtungen zur Oberflächenspannung von Flüssigkeiten. Für die Untersuchung des Phänomens erfand sie 1882 die noch heute benutzte Schieberinne, die der US-amerikanische Forscher Irving Langmuir (1881-1957) zur Langmuir-Pockels-Filmwaage weiterentwickelte. Langmuir erhielt 1932 den Nobelpreis – einige seiner Erkenntnisse basierten auf Pockels Experimenten.
Pockels leistete einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung von Grenzflächenphänomenen. Da sie als wissenschaftliche Außenseiterin fürchtete, dass deutsche Fachzeitschriften eine Publikation von ihr ablehnen würden, wandte sie sich 1891 an den englischen Physiker und späteren Nobelpreisträger John William Strutt (1842-1919), bekannt als Lord Rayleigh. Es entwickelte sich eine rege Korrespondenz und schließlich wurde Pockels Arbeit mit Rayleighs Empfehlung in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Das machte Pockels auch in Braunschweig bekannt. Sie durfte fortan am physikalischen Institut der Technischen Hochschule Braunschweig arbeiten und wurde darüber hinaus zu wissenschaftlichen Vorträgen eingeladen. Als erste und bis heute einzige Frau erhielt Pockels am 27. Januar 1932 die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Braunschweig für ihre bahnbrechenden Forschungen zur Oberflächenchemie – eine außergewöhnliche Ehre für eine Autodidaktin.
Agnes Pockels verstarb am 21. November 1935 im Alter von 73 Jahren in Braunschweig. Seit 1993 verleiht die Technische Universität Braunschweig, wie die Hochschule heute heißt, die Agnes-Pockels-Medaille an Personen, die sich besonders um die Förderung von Frauen in Forschung und Lehre verdient gemacht haben.
• Arbeitskreis Andere Geschichte (Herausgeber): Braunschweiger Frauen. Gestern und heute. Sechs Spaziergänge, Braunschweig, 2002, S. 111
• G. Beiswanger, Chemie in unserer Zeit 1991, 25, S. 97
• G. Beiswanger: Pockels, Agnes Luise Wilhelmine. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20, S. 55, Duncker & Humblot, Berlin, 2001
• Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh): Chemikerinnen – es gab und es gibt sie, Broschüre 2003, S. 8
Hinweis
Die in dieser Reihe veröffentlichten Texte erheben nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Autoren und andere beteiligte Personen sind keine wissenschaftshistorischen Expertinnen und Experten. Zweck der Reihe ist es, die meist unbekannten Chemikerinnen vorzustellen und an die bekanten Chemikerinnen zu erinnern. Leserinnen und Leser, die mehr wissen wollen, möchten wir ermutigen, wissenschaftliche Quellen zu den vorgestellten Frauen zu studieren. In einigen Fällen gibt es ausführliche chemiehistorische Arbeiten.
Autoren
Prof. Dr. Eberhard Ehlers
Prof. Dr. Heribert Offermanns
Redaktionelle Bearbeitung
Dr. Uta Neubauer
Projektleitung
Dr. Karin J. Schmitz (GDCh-Öffentlichkeitsarbeit)
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Foto: Unknown author, Agnes Pockels ca1892, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
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zuletzt geändert am: 28.05.2021 09:38 Uhr von M.Fries